Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine
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"Die Sorge vor einer Generation, die nur Luftschutzkeller kennt, ist groß"

Text: Ann-Cathrin Coenen, Fotos: Ralf Rottmann/FUNKE Foto Services und Kindernothilfe

Kindernothilfe-Kollege Pascal Bittner war erst vor Kurzem zu Besuch in der Republik Moldau und in Rumänien. In beiden Ländern unterstützt die Kindernothilfe seit Beginn des Ukraine-Krieges Projekte für aus der Ukraine geflüchtete Kinder und ihre Familien. Im Gespräch hat Pascal von seinen Eindrücken berichtet.

Pascal, was hat dich auf deiner Reise besonders beeindruckt?

Pascal Bittner: Ich hatte an beiden Standorten das Gefühl, dass die Kinder zur Ruhe kommen können. Das hat man an ganz banalen Dingen gemerkt. In der Kleinstadt Edineț beispielsweise, in der Republik Moldau, hat ein Mädchen selbst gebastelte Eintrittskarten für sein Trommelkonzert am Abend an uns verteilt. Das Kind war erst seit ein paar Tagen im Projekt unseres Partners und hatte sich seine neue Unterkunft scheinbar schon zu seinem Reich gemacht.
In Rumänien fand ich besonders beeindruckend, dass Minus und Minus tatsächlich manchmal Plus ergeben können. Mit Concordia Rumänien arbeiten wir mit einem Partner zusammen, der vor Kriegsbeginn vor allem Kinder und Jugendliche unterstützt hat, die aus der staatlichen Förderung gefallen sind. Mit dem Angriff auf die Ukraine wurden die Gebäude neu organisiert, sodass dort nun zusätzlich ukrainische Geflüchtete untergebracht sind. Aufgrund ihrer neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner erleben diese Kinder und Jugendlichen gerade, dass auch sie etwas für andere bedeuten können. Sie sind jetzt nicht mehr nur Hilfsempfängerinnen und -empfänger, sondern helfen selbst. Und obwohl sie keine gemeinsame Sprache mit den ukrainischen Kindern haben, können sie, weil sie die Gebäude und die Stadt kennen, total viel geben. Unser Partner schafft hier einen tollen Rahmen, in dem so ein schöner Nebeneffekt überhaupt erst möglich wird.


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Pascal im Gespräch auf seiner Reise in die Republik Moldau und nach Rumänien (Quelle: Kindernothilfe)
Pascal im Gespräch auf seiner Reise in die Republik Moldau und nach Rumänien (Quelle: Kindernothilfe)
Pascal im Gespräch auf seiner Reise in die Republik Moldau und nach Rumänien (Quelle: Kindernothilfe)
Pascal im Gespräch auf seiner Reise in die Republik Moldau und nach Rumänien (Quelle: Kindernothilfe)

"Viele fragen sich: Was kann ich hier nun Sinnvolles machen?"

Warum denkst Du, ist die Unterstützung besonders für die Kinder und Jugendlichen wichtig?

Pascal Bittner: Wir haben vor Ort sehr viele Gespräche mit den Kindern geführt. Sie haben uns erzählt, was sie vermissen, und am häufigsten wurden, neben Papa oder Oma und Opa, Dinge wie ihre Haustiere oder bestimmte Spielsachen genannt. Einfach Sachen, die eine ganz normale Kindheit ausmachen und die ihnen von einem auf den anderen Tag genommen wurden. Im Gespräch mit unserem Partner ist deutlich geworden, dass es für die Kinder sehr wichtig ist, das Erlebte in geschützter Atmosphäre verarbeiten zu können. Die Sorge vor einer Generation, die nur Luftschutzkeller kennt, ist groß. Dabei geht es nicht einfach nur darum, dass die Kinder etwas zum Spielen haben, sondern um professionelle, psychosoziale Betreuung. Mit den „Child Friendly Spaces“ wurden sichere Räume für die Mädchen und Jungen geschaffen, um zu spielen und dabei im gegenseitigen Austausch gemeinsam mit qualifizierten Erwachsenen ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Ich glaube, durch dieses Miteinander wird ihnen bereits viel Druck und Stress genommen.  

Wie geht es weiter? Welche Art von Unterstützung benötigen die Menschen in Zukunft?

Pascal Bittner: Eine schwierige Frage. Für viele Familien ist es bereits eine enorme Entlastung, je nach Entwicklung der Lage, einigermaßen schnell und unbürokratisch wieder in die Heimat zu kommen. Das war für mich tatsächlich neu. Aber an unserem Standort in der Republik Moldau zum Beispiel, nahe der ukrainischen Grenze, besteht die Möglichkeit, zwischen dem Leben zu Hause und dem als Geflüchtete zu wechseln. Einige der Frauen dort haben erzählt, dass sie zeitweise wieder in die Ukraine gereist sind, um ihre Männer zu besuchen. Die Familien müssen sich also nicht entscheiden, ob sie alles hinter sich lassen und für immer fortgehen oder ob sie in einem unsicheren Land, das andauernd bombardiert wird, bleiben. Das kann den Familien bei den schwierigen Abwägungen helfen, die der Krieg fordert, und bietet oftmals eine Art Ausweg.
Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass es den Erwachsenen ein großes Bedürfnis ist, nicht nur Hilfe zu empfangen, sondern auch selbst aktiv zu sein. Viele fragen sich: Was kann ich hier nun Sinnvolles machen? In Edineț sind viele Geflüchtete in der Nähe des örtlichen Sportplatzes untergebracht. Das Sportlerheim dort bot ebenfalls Übernachtungsmöglichkeiten, allerdings war die Anlage renovierungsbedürftig. Ein älterer Herr aus der Ukraine hat beispielsweise bei der Renovierung mitgeholfen – einfach, um selbst einen Beitrag leisten zu können. Das ist wichtig für die Menschen und schafft ein gutes Fundament für ein friedliches Miteinander in einem Teil Europas, der bereits vor dem Krieg im Nachbarland schon vor Herausforderungen stand.
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