„Nur warme Worte reichen nicht in der heutigen globalen Großwetterlage"
Mit der Vereidigung von Friedrich Merz und seinem Kabinett am 6. Mai nimmt die neue Bundesregierung offiziell ihre Arbeit auf. Carsten Montag, Vorstand bei der Kindernothilfe und dem Dachverband VENRO fordert, Kinder und ihre Rechte stärker in den Blick zu nehmen.


Welchen Gedanken möchtest Du der neuen Regierung mit auf den Weg geben?
Carsten Montag: Wir alle stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Die letzten Jahrzehnte zeigen, dass globale Probleme nur global gelöst werden können. Im Gegensatz dazu richten wir uns immer mehr an nationalen und vor allem wirtschaftlichen Interessen aus. Das geht zu Lasten unserer Bemühungen im Kampf für Menschenrechte sowie gegen Hunger und Armut in der Welt.
Am 8. Mai jährt sich der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum achtzigsten Mal. Mich erinnert er daran, wie zerbrechlich Frieden ist. Internationale Zusammenarbeit mit Partnern weltweit ist kein Luxus, sondern essenziell für globale und damit auch unsere eigene Sicherheit.
Wie blickst Du auf die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit?
Der Erhalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist ein wichtiges Zeichen. So sitzt die internationale Verantwortung gleichberechtigt am Kabinettstisch. Ich warne aber vor einer Kürzung der Bundesmittel zulasten einer an den Menschenrechten ausgerichteten internationalen Arbeit. Nur warme Worte reichen nicht in der heutigen globalen Großwetterlage, die geprägt ist von Kriegen wie in der Ukraine, den Klimaveränderungen, die auch wir in Deutschland und um ein Vielfaches mehr Menschen im sogenannten globalen Süden hautnah erleben.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekennen sich Union und SPD erstmals seit mehr als 30 Jahren nicht mehr zur Zusage, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für eine wirksame und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Damit setzen wir als wirtschaftlich starkes Land mit Vorbildcharakter ein alarmierendes Zeichen. Wir reißen Lücken in der Entwicklungsfinanzierung mit tiefgreifenden Folgen für Millionen von Menschen. Wir nehmen Kinder und Jugendliche ihr Recht zu spielen, zu lernen und sicher aufzuwachsen, wenn zum Beispiel überlebenswichtige Projekte der Humanitären Hilfe zur Ernährungssicherung, für gerechte Bildungschancen, zur HIV/AIDS Bekämpfung oder zur Demokratieförderung einbrechen.
Die Entwicklungspolitik wird verstärkt in den Dienst eigener migrationspolitischer und wirtschafts- sowie sicherheitspolitischer Interessen gestellt. Damit droht die Orientierung der Politik an den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) verloren zu gehen. Auch die Abschaffung des deutsche Lieferkettengesetzes und damit die Abschaffung wichtiger Berichtspflichten für Unternehmen in Deutschland ist kein gutes Zeichen. So werden nur noch massive Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten sanktioniert. Wir unterscheiden dann in sanktionswürdige und tolerierbare Menschenrechtsverletzungen und verharmlosen damit das Leid vieler Kinder und Jugendlicher, die unter unwürdigen Bedingungen zum Beispiel im Tagebau oder auf Obstplantagen für einen Hungerlohn arbeiten.
Welches Thema sollte die Koalition mit Blick auf Kinder und Kinderrechte in Deutschland unbedingt angehen?
Kinder haben das Recht auf ein gewaltfreies Leben - überall auf der Welt. Alarmierend ist, dass die Zahl der dokumentierten Kindeswohlverletzungen durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt in Deutschland 2024 einen neuen Höchststand erreichte. Jede Woche sterben zwei bis drei Kinder an den Folgen körperlicher Gewalt. Besonders Kinder mit Fluchterfahrung sind erhöhten Risikofaktoren ausgesetzt, und Cyberkriminalität insbesondere über soziale Medien steigt rasant an. Alle Kinder haben ein fundamentales Recht auf ein gewaltfreies Leben. Dafür setzt sich die Kindernothilfe jeden Tag ein und entwickelt zum Beispiel maßgeschneiderte Schutzkonzepte für Sportvereine. Auch die neue Bundesregierung muss mehr unternehmen, um Gewalt zu verhindern und die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten.