"Nur auf uns zu schauen, wird uns langfristig wehtun"


Der Entwicklungszusammenarbeit drohen weitere massive Einsparungen. Was bedeutet das konkret für Kinder und Jugendliche in den betroffenen Ländern?
Carsten Montag: Wenn die staatlichen Gelder wie geplant weiter gekürzt werden, dann wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die akut vom Verhungern bedroht sind, weiter steigen. Bereits heute sind weltweit so viele Kinder von akuter Ernährungssicherheit betroffen wie Menschen in den Vereinigten Staaten insgesamt leben. Durch die Kürzungen wird die Arbeit vieler Organisationen, die sich für Kinder und Jugendliche in den sogenannten Entwicklungsländern engagieren, zusammenbrechen.
Aber nicht nur das: Die Kürzungen werden sich in allen Bereichen auswirken. Viele Menschen vor Ort werden arbeitslos, und die notwendige Unterstützung für die vulnerabelsten Gruppen bricht weg. Krisen und bewaffnete Konflikte, aber auch eine steigende Zahl von Naturkatastrophen verschärfen die Situation darüber hinaus. Die Folgen werden sofort sichtbar, wenn auch zunächst weniger für uns hier in Deutschland, weil das alles so weit weg passiert. Am Ende des Tages hängt unser Wohlergehen aber auch von der Situation in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ab. So hat uns die Pandemie gezeigt, dass weltweite Herausforderungen nur global zu lösen sind. Nur auf uns zu schauen, mag kurzfristig gutgehen, wird uns langfristig aber wehtun.
Kann sich Deutschland denn leisten, weiter viel in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren?
Für uns ist es auch eine Chance, ein zuverlässiger Partner für die Länder des sogenannten Globalen Südens zu bleiben. Wir profitieren sicherheitspolitisch, aber auch von tragfähigen, auf Augenhöhe angelegten wirtschaftlichen Beziehungen. Daher sind wir gut beraten, die Lücke, die die USA hinterlassen, nicht zu groß werden zu lassen. Der Wunsch und die Notwendigkeit, die Probleme bei uns vor der eigenen Haustür zu lösen ,wird langfristig nur dann gelingen, wenn es uns allen "gut geht". Afrika ist ein Wachstumsmarkt. Und im Gegensatz zu Europa wächst auch die Bevölkerung dort. In einer globalisierten Welt sind wir in Europa nicht wirklich in der Lage, unseren Wohlstand aus eigener Kraft zu wahren. Wir brauchen zum Beispiel auch Afrika und die Menschen in Afrika. Darum müssen auch wir dafür sorgen, dass Kinder dort eine stabile Lebensbasis haben, damit sie sich und ihr Land weiterentwickeln können. Ohne eine gute Bildung für alle wird das nicht gelingen.
Welche Auswirkungen hätten Etatkürzungen konkret für die Bildungssituation von jungen Menschen im Globalen Süden?
Wir alle wissen, wie wichtig eine solide Bildung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist. Auch bei uns in Deutschland sind die Bildungschancen nach wie vor sehr abhängig von der sozialen und wirtschaftlichen Stellung der Familien. Die Herausforderungen sind überall groß. Aber in vielen Ländern Afrikas, Asiens oder auch Lateinamerika scheitern Kinder und Jugendliche schon daran, überhaupt zur Schule zu kommen, weil der Weg dorthin zu weit ist. Und viele Kinder sind gezwungen zu arbeiten, um damit den Lebensunterhalt der Familie mit zu sichern.
Dank gemeinsamer Anstrengungen Im Bildungsbereich hat sich die Situation seit 2015 aber deutlich verbessert: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der jungen Menschen, die eine Schule besuchen, um 110 Millionen gestiegen, und 40 Millionen mehr Schüler*innen erreichen heute einen Abschluss. Möglich war das nur mit ausreichender und zuverlässiger Finanzierung.
Die Abgeordneten in Berlin müssen daher jetzt ganz besonders darauf achten, dass es im Bildungsbereich keine Kürzungen gibt. Im Blick stehen dabei speziell die beiden multilateralen Fonds "Globale Bildungspartnerschaft" (GPE) und "Education Cannot Wait". Als Kindernothilfe fordern wir gemeinsam mit der Globalen Bildungskampagne für die anstehende, sogenannte Wiederauffüllungskonferenz der GPE 2026, dass Deutschland jährlich einen Beitrag von 110 Millionen Euro leistet. Das wäre der Wirtschaftskraft und dem internationalen politischen Gewicht Deutschlands angemessen. Sonst wird die positive Entwicklung der vergangenen Jahre in der Bildung stagnieren beziehungsweise sich umkehren.
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Annette Kuhn
Redakteurin für politische Komunikation
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