3 Fragen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
Wieso die Reform des Asylgesetzes geflüchtete Kinder zu wenig schützt


Was ändert sich durch die GEAS-Umsetzung für Kinder von Asylantragstellenden und minderjährige Antragstellenden?
Dr. Judith Striek: Aus kinderrechtlicher Perspektive ist der wesentliche Unterschied zum Asylgesetz bisher, dass Kinder unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht sein können. Wenn das kommt, was die Bundesregierung jetzt plant, können sich Kinder wahrscheinlich nicht frei bewegen und die Aufnahmeeinrichtung nur für bestimmte externe Termine und nur mit Erlaubnis verlassen. Eine solche Unterbringung ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, die der UN-Kinderrechtskonvention zuwiderläuft.Ein weiteres Problem an dem Gesetzentwurf ist, dass keine kindgerechte Unterbringung vorgesehen ist und keine Kinderschutzstandards für die Einrichtungen definiert sind. Es ist auch nicht vorgesehen, dass Kinder ihre Bedürfnisse artikulieren können und dass darauf dann eingegangen wird. Das gehört aber zu ihrem Recht auf Partizipation.
Und noch etwas: Es ist bislang keine Höchstaufenthaltsdauer definiert. Es kann also passieren, dass Kinder sehr lange in solchen Einrichtungen leben.
Gibt es positive Aspekte für Kinder und Kinderrechte durch die GEAS-Reform?
Hier muss man unterscheiden zwischen Theorie und Praxis. In der Gesundheitsversorgung ist bei GEAS zum Beispiel eine Verbesserung geplant. Vorgesehen ist, dass asylsuchende Kinder bzw. Kinder asylsuchender Eltern die gleiche Gesundheitsversorgung bekommen wie minderjährige Staatangehörige. Das ist an sich positiv, allerdings ist unklar, wie das tatsächlich umgesetzt wird, denn das gilt ja nur für die Kinder, nicht für Erwachsene. Sollen Kinder und Eltern dann nach unterschiedlichen Maßstäben behandelt werden? Könnten Kinder zu jedem Kinderarzt gehen, und die Eltern bekämen nur eine Notfallversorgung? Hier sehe ich noch großen Klärungsbedarf.
Eine zweite Verbesserung ist, dass ein unabhängiges Monitoring zur Einhaltung der Menschenrechte im Asylverfahren geplant ist. Das heißt, die Umsetzung von GEAS soll aus menschenrechtlicher Perspektive überwacht werden. Problem ist hier aber, dass dies im aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht angelegt ist. Und so ein Monitoring ergibt nur Sinn, wenn es von Anfang an läuft und nicht erst später eingeführt wird.
Insgesamt sehe ich nicht, dass Deutschland die durchaus positiven Aspekte, die in GEAS angelegt sind, vorantreibt. Im Gegenteil: Deutschland setzt derzeit eine sehr restriktive Asylpolitik um und schränkt die Rechte von Kindern immer weiter ein. Das ist eine Rückentwicklung. Ein Beispiel: Im Gesetzentwurf in Deutschland gibt es die Regelung, dass unbegleitete Minderjährige "zu ihrem Schutz" inhaftiert werden können. So eine Regelung gab es schon in anderen Ländern, in Griechenland zum Beispiel. Aber dort hat man erkannt, wie groß der Schaden ist, wenn man unbegleitete Minderjährige nicht adäquat unterbringt und betreut. Deshalb hat Griechenland so eine Vorgehensweise wieder aufgegeben. Dass GEAS die Inhaftierung zum Schutz von Kindern jetzt wieder vorsieht, ist ein echter Rückschritt.
An welchen Stellschrauben sollte unbedingt gedreht werden, um die Wahrung von Kinderrechten sicherzustellen?
Die Kindernothilfe hat zusammen mit anderen Organisationen ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das hat klar gezeigt: Kinderrechte müssen in den Aufnahmeeinrichtungen für Asylantragstellende besser geschützt werden. Ich sehe hier besonders drei Punkte:
- Bei der Unterbringung muss nachgebessert werden: Für Familien und unbegleitete minderjährige Kinder müssen besondere Kriterien gelten. Kinder dürfen im Asylverfahren nicht wie Erwachsene behandelt werden. Das steht nicht im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention. Das Kindeswohl muss ein leitendes Prinzip bei der GEAS-Umsetzung sein.
- Die Einrichtung eines guten, stabilen, unabhängigen, menschenrechtsbasierten Monitorings muss von Anfang an erfolgen. Es muss dringend in den Gesetzesentwurf mit aufgenommen werden. Dabei müssen besonders die Kinderrechte im Blick sein.
- Und der dritte Punkt: Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf ist sehr komplex und verwirrend. Das wird dazu führen, dass in der Praxis oft unklar ist, welche Regelungen eigentlich greifen. Wir brauchen hier mehr Klarheit, sonst ist die Gefahr groß, dass zum Nachteil der Schutzsuchenden und damit auch von Kindern entschieden wird. Man muss sich das vor Augen führen: Es geht hier um Menschen, die zu uns kommen, weil sie an Leib und Leben bedroht sind. Sie dürfen nicht zum Spielball von Gerichten und Behörden werden.