Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

„Mein Lehrer ist ein Held“

Text: Thomas Mader Bilder: Lars Heidrich

Mae Sot. Die Weihnachtsaktion von WAZ und Kindernothilfe soll Zukunft schenken. Ein Mädchen erzählt, wie ihr Schulleiter das halbe Dorf rettete.

Zuerst hörte Win Win* die Schüsse, dann flogen die Jets der „Myanmar Air Force“ über ihre Schule hinweg. Bomben explodierten in den Wäldern und Feldern um ihr Dorf. „Lauft nach Hause, versteckt euch“, rief der Schulleiter der 16-Jährigen und ihren Freunden zu. Denn im Bürgerkrieg zwischen Militärjunta und Rebellen werden jede Woche Schulen zerbombt, beschossen, abgebrannt, um Terror zu säen. Als sich Win Win am nächsten Tag wieder in die Schule wagte, versammelte der Direktor alle 100 Schüler auf dem Hof und bot ihnen an, sie in Sicherheit zu bringen, quer durch Myanmar und über die Grenze nach Thailand. Das halbe Dorf entschloss sich, dem Schulleiter seine Kinder anzuvertrauen . . .

Ein halbes Jahr später kann Win Win in Sicherheit von diesem Treck der Kinder erzählen. Sie ist in Mae Sot untergekommen, einer thailändischen Grenzstadt, in der sich die Flüchtlingskrise des Nachbarlandes konzentriert. Wir haben Win Win in einem Lernzentrum für Zuwanderer („Migrant Learning Center“) getroffen, ein Internat, das von Geflüchteten für Geflüchtete gegründet wurde. Der thailändische Staat duldet diese Einrichtungen und erkennt Abschlüsse an, aber er unterstützt sie nicht. Ohne Hilfe von außen können diese Inseln der Hoffnung nicht existieren – und diese Hilfe kommt auch aus dem Ruhrgebiet.

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Win Win in ihrer Schlafhütte (Quelle: Lars Heidrich)
Win Win (heute 17) wurde von ihrem Schulleiter aus Myanmar in Sicherheit gebracht. Hier sitzt sie in ihrer Schlafhütte, die sie mit rund 20 anderen Mädchen teilt. (Quelle: Lars Heidrich)
Win Win in ihrer Schlafhütte (Quelle: Lars Heidrich)
Win Win (heute 17) wurde von ihrem Schulleiter aus Myanmar in Sicherheit gebracht. Hier sitzt sie in ihrer Schlafhütte, die sie mit rund 20 anderen Mädchen teilt. (Quelle: Lars Heidrich)

Die Kindernothilfe mit Sitz in Duisburg unterstützt über ihren lokalen Partner „Rights Beyond Border“ zwei solche „Selbsthilfe-Schulen“, finanziert das Essen, Lehrerstellen, bringt Licht vor die Schlafhütten. Aber das Internat von Win Win wuchs in kurzer Zeit um das Dreifache – und es kommen weiterhin Kriegskinder, oft ganz allein. So fehlt es an allem: an Platz, an Heften, und vor kurzem musste die Schule auch das Mittagessen streichen, um das Budget zu strecken. Win Win und ihre Mitschüler müssen nun mit dem Reis-Frühstück über den Tag kommen.

Mit unserer Weihnachtsaktion möchten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Spenden bitten für dieses Projekt der Kindernothilfe, das wir uns für Sie intensiv angeschaut haben. In den Adventswochen wollen wir Sie mit einer Reihe von Artikeln informieren über die Probleme und Erfolge der Kinder.

„Es hätte ihn das Leben gekostet“

Win Win kommt aus dem Süden Myanmars, um ihr Dorf herum wird Reis angebaut und Teak geschlagen. Und rundum versperren Checkpoints die Fluchtrouten. Als sich das Mädchen mit 60 Schulfreunden auf die Ladefläche eines Lastwagens zwängte, wusste Win Win, dass es gefährlich werden würde – vor allem für den Direktor. „Wenn er geschnappt worden wäre, hätte das sein Leben gekostet“, sagt Win Win. „Mein Lehrer ist ein Held.“

Manchmal bestach er die Soldaten, dann wieder schlich sich der Schulleiter mit seinen 60 Kindern an den Checkpoints vorbei, wechselte die Trucks. Man kann nur vermuten, dass er im Widerstand vernetzt war. Vor der Morgendämmerung setzten die Kinder mit Booten über den schmalen Fluss Moei. Nun waren sie in Thailand, aber noch nicht in Sicherheit, denn Geflüchtete werden immer wieder zurückgetrieben, besonders nahe der Grenze. Der Direktor führte sie durch den dunklen Wald zu einem weiteren Truck. Und als er seine Schützlinge in Sicherheit gebracht hatte – die meisten ins riesige Flüchtlingslager Mae La, andere mit Win Win nach Mae Sot – kehrte er um, um seine Schüler daheim zu unterrichten.

Er wäre sonst ein Kindersoldat

Der vergangene Kriegswinter lief nicht gut für die Militärdiktatur. Im Februar 2024 erneuerte sie die Wehrpflicht – und verschleppt zunehmend auch Jugendliche, bevorzugt solche, die zu ethnischen Minderheiten gehören. Thuram* gehört zu den Karen, die seit der Staatsgründung mit der Zentralregierung kämpfen. Der damals 15-Jährige konnte entkommen, bevor die Soldaten an seine Tür klopften. „Ich habe die Sorgen meiner Mutter zuerst abgetan, aber heute weiß ich, dass sie eine weise Frau ist. Ich wäre sonst ein Kindersoldat wie meine Freunde.“

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Thura musste kein Kindersoldat werden  (Quelle: Lars Heidrich)
Thuram wäre heute Kindersoldat wie zwei seiner Freunde, wäre er nicht geflüchtet. (Quelle: Lars Heidrich)
Thura musste kein Kindersoldat werden  (Quelle: Lars Heidrich)
Thuram wäre heute Kindersoldat wie zwei seiner Freunde, wäre er nicht geflüchtet. (Quelle: Lars Heidrich)
Als das Militär in Thurams Dorf im Karen-Staat den Betrieb der Schule übernahm, schickte seine Mutter ihn fort. Das Internat in Mae Sot gefiel Thuram zunächst überhaupt nicht: „Diese Enge, das soll eine Schule sein, ich glaub‘s nicht!“ Aber wenige Tage darauf rief seine Mutter ihn an: Das Militär hatte zwei seiner Freunde verschleppt, 15 und 16 Jahre alt. „Wahrscheinlich sind sie nun als Träger an der Front, aber niemand weiß, ob sie noch leben. Auch ihre Eltern haben seit Monaten nichts mehr von ihnen gehört.“

Win Win und Thuram fühlen sich nicht nur sicher, sie haben auch wieder Träume. Größere vielleicht, als jemals zuvor. Win Wins Eltern sind Tagelöhner, aber sie hat sich nun ein Wörterbuch gekauft. „Übersetzerin möchte ich werden: für Englisch, Japanisch, Chinesisch, Thai und Karenisch.“ Und Thuram sagt: „Die Klassen in Myanmar waren viel größer als hier, und die Lehrer waren nicht gut ausgebildet. Sie haben mich runtergemacht und mit dem Lineal geschlagen, hier auf die Hand.“ In Mae Sot sieht er junge Lehrer aus der Gemeinschaft der Geflüchteten, die ihre Arbeit idealistisch angehen, die inspirieren wollen. „So möchte ich auch werden“, sagt Thuram. „Ich möchte ein guter Lehrer werden, selbst wenn ich noch kein guter Schüler bin.“

* Wir haben die Namen aller Kinder geändert, um sie zu schützen
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Haftbefehl gegen den Diktator

Nach Putin und Netanyahu will der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nun auch Myanmars Diktator anklagen. Am 27. November 2024 gab der Chefankläger bekannt, er habe Haftbefehl gegen Min Aung Hlaing beantragt. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die dem Chef der Militärjunta vorgeworfen werden, beziehen sich auf den Völkermord an den Rohingya 2017.

In dieser Zeit war Myanmar offiziell eine Demokratie, gewählte Regierungschefin war die Friedensnobelpreisträgerin Aung Suu Kyi. Die Macht hatte jedoch offenbar weiter das Militär, das schon von 1962 bis 2015 herrschte. Die kurze Phase der Öffnung endete in der Pandemie. 2021 putschte sich Min Aung Hlaing auch offiziell zurück an die Macht. Kurz darauf brach der Bürgerkrieg aus.

Das brutale Vorgehen des Militärs ähnelt in vielen Fällen dem gegen die Rohingya. In dem Vielvölkerstaat Myanmar kämpfen nun rund 40 meist ethnisch organisierte Rebellengruppen gegen das Regime (und bisweilen auch gegeneinander, wenn einzelne Gruppen zur Zentralregierung überlaufen). Erstmals haben sie eine Allianz geschmiedet.

Das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) beobachtet den Konflikt intensiv und hat bislang rund 22.500 Gefechte, über 3000 Luftschläge und 6000 Minenexplosionen gezählt
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So können Sie spenden

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