Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Lachendorf: Ein Dorf in Kindernothilfe-Hand

Text: Gunhild Aiyub Fotos: Ralf Krämer

Lachendorf: ein Bilderbuchdorf im Landkreis Celle, am Südrand der Lüneburger Heide. Rund 6.200 Menschen leben in dieser Idylle. Die Kindernothilfe kennt hier fast jeder – ein Verdienst von Dr. Gabriele Molsen und ihren engagierten Mitstreiterinnen. In diesem Jahr feierten sie ihr 25-jähriges Jubiläum als Kindernothilfe-Arbeitskreis.

„Meine Frau ist die treibende Kraft des Arbeitskreises!“ Dr. Gerd Molsen, Ehemann der Genannten, holt uns vom Bahnhof in Celle ab und bringt uns nach Lachendorf. Dort ist heute Bauernmarkt mit Weinfest, und der Arbeitskreis hat seinen Kindernothilfe-Stand aufgebaut. „Manche Leute aus dem Dorf stöhnen schon: ‚Och nee, nicht schon wieder die Kindernothilfe …!‘“ Wir sind nach Lachendorf gekommen, um Dr. Gabriele Molsen und ihre engagierte Gruppe in Aktion zu erleben.

Auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofes wuseln Menschenmassen zwischen Ständen mit Gemüse, Obst, Wein, Heidehonig, Schmuck, Trödel und Wurst vom Hirsch hin und her. Über allem wabert der Duft von frischem Kartoffelpuffer und Flammkuchen mit Federweißem. Der Kindernothilfe-Stand ist liebevoll geschmückt, kreativ und steckt voller Überraschungen. Eine Sturmböe mit heftigem Regenschauer hat Gabriele Molsen und drei Mitstreiterinnen vorübergehend in den Kindernothilfe-Pavillon getrieben. Das Verkaufsangebot, u. a. bestehend aus Topflappen, Eierwärmern, gemalten Postkarten, Futterhäuschen für Vögel und den Kindernothilfe-Heften, werden mit dicken Steinen beschwert und vor den Windstößen gerettet. Alles Gestrickte stammt von Lilli Borck, 85 Jahre alt, seit sieben Jahren im Arbeitskreis und auch heute für einige Stunden dabei. „Ich stricke immer auf Vorrat“, verrät sie uns. Sie war Patientin in der Gemeinschaftspraxis der Molsens gewesen, wie so viele hier. Eine Spendendose und Infomaterial in der Praxis hatten sie auf die Kindernothilfe aufmerksam gemacht.

 

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Kindernothilfe-Materialien: Magnete und "Kinder, Kinder"-Hefte
Dicke Steine gegen Sturmböen (Quelle: Ralf Krämer)
Kindernothilfe-Materialien: Magnete und "Kinder, Kinder"-Hefte
Dicke Steine gegen Sturmböen (Quelle: Ralf Krämer)

"Ich mach' doch schon so viel!" 

Die beiden Ärzte, inzwischen im Ruhestand, sind ständig umringt von Freunden, Bekannten und ehemaligen Patienten. Auch der frühere Bürgermeister kommt vorbei. Viele stecken etwas in die Spendendose. „Fast jeder im Dorf kennt Molsens oder war dort Patient. Das ist sicherlich von Vorteil!“, bestätigt Gisela Rose. Sie ist nicht Mitglied in der Gruppe, hilft aber gern immer mal wieder mit. „Möchten Sie vielleicht für einen Tag Katastrophenhelfer werden?“, fragt sie eine Frau. Ihre Devise ist: Wenn die Leute schon an den Stand kommen, soll man sie auch ansprechen. „Ich mach doch schon so viel!“, versichert die Frau und zerrt hektisch ihre Tochter weiter.

Natürlich muss niemand selbst in ein Katastrophengebiet gehen. Viele Arbeitskreise haben für ihre Stände einen riesigen Jahreskalender von der Kindernothilfe bekommen, den man pro Tag mit einer 1-Euro-Münze bestücken kann – dadurch wird man Pate für diesen einen Tag. Nach der Tsunami-Katastrophe, die gerade in Indonesien stattgefunden hatte, reagierte Gabriele Molsen sofort: „Können wir nicht „Katastrophenhelfer für einen Tag“ schreiben?“, fragt sie und hat schon den Filzstift in der Hand.

Der Kalender findet regen Zuspruch. „Darf  man da auch mehr als einen Euro reinstecken“, fragt ein Mann und quetscht eine 2-Euro-Münze hinter die Klarsichtfolie. Mehrere Leute überreichen den Arbeitskreismitgliedern einen 5-Euro-Schein. „Ich hoffe, der 13. Dezember ist noch frei, das ist mein Geburtstag“, sagt eine Frau im blauen Anorak und hockt sich vor den Kalender.

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Das Wetter wird besser, der Besucherstrom stärker. Aufgepeppte Zopfgummis, Mini-Söckchen als Schlüsselanhänger und farbenfrohe Gemälde locken Leute an den Stand. „Die Futterhäuschen für Vögel und die Holz-Fliegenpilze fertigt ein früherer Patient von Molsens an“, weiß Karin Lengacher. „Wir treffen uns alle sechs Wochen und pinseln die Sachen bunt an!“
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Eine Giraffe im Tor

Gisela Cammann sammelt bunte Bälle ein, mit denen Kinder eine Giraffe beworfen haben. Sechs  Würfe für 50 Cent, und am Ende gibt’s sogar noch einen Preis. Die Giraffe hat die kreative Kindergärtnerin selbst fabriziert: Sie hat eine große Stoffgiraffe auf eine grüne Plane genäht und das Ganze über den Rahmen eines Fußballtores gespannt. Zwei der braunen Flecken im Fell sind kleine Beutel, in die man die Bälle befördern muss. „Mehr nach rechts“, ruft sie einem kleinen Jungen zu, „ja toll, der Ball ist drin!“ Der Junge kramt in der Schale mit den Preisen und zieht mit einer Trillerpfeife ab. Bei den Kindern sehr begehrt, bei ihren Eltern wahrscheinlich weniger … 

Gisela Cammans Enkel Fynn hantiert mit den Einzelteilen des großen Afrika-Puzzles aus Holz herum. Ohne groß nachzudenken zeigt der gerade mal Vierjährige ruckzuck dem erstaunten erwachsenen Publikum, wo welche Länder hingehörten. „Er macht das nicht zum ersten Mal“, verrät seine Großmutter. Aber beeindruckend ist es trotzdem! Die Kindernothilfe ist bei Cammans fest in der Familie verankert – Tochter Marieke gehört auch zum Arbeitskreis, wurde aber heute als Kassenchefin beim Reibekuchenstand eingeteilt.

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Eine Giraffe, die Bälle auffängt (Quelle: Ralf Krämer)
Gisela Cammann hat dieses tolle Wurfspiel fabriziert (Quelle: Ralf Krämer)
Eine Giraffe, die Bälle auffängt (Quelle: Ralf Krämer)
Gisela Cammann hat dieses tolle Wurfspiel fabriziert (Quelle: Ralf Krämer)

Was macht der Hammer im Ikea-Karton?

"Huch, da ist ja ein Hammer drin!“ Ein Jugendlicher fingert mit einer Hand in einem der aufeinandergetürmten Kartons herum. Daneben steht eine Fotowand mit der Überschrift „Was weißt du über Kinderarbeit?“ Wieder so eine Idee von Gabriele Molsen. Sie hat vorne eine Öffnung in die Kartons geschnitten und sie von innen mit breiten Stoffbändern zugehängt. Besucher werden aufgefordert, hineinzufassen.

„In diesem Karton ist eine kleine Schachtel“, verkündigt der Junge. „Und hier ist … Moment … das ist ein Ziegelstein, stimmt’s?“ „Richtig“, sagt Gabriele Molsen. „Und findest du jetzt auch noch die passenden Bilder auf der Fotowand?“ Der Ziegelstein gehört zu dem Bild, das Kinderarbeit in einer indischen Ziegelei zeigt, der Hammer zum Bergwerk in Pakistan, in dem zwei Jungen schuften. Die Schachtel ist nicht so leicht zu erraten – die großen Blätter, die Kinder auf einem Feld in Sambia ernten, sind Tabakblätter. „Aaaah, das ist eine Zigarettenschachtel!“, dämmert es dem Jungen. Anfassen, sehen, kombinieren, verstehen – eine eindrucksvolle Lehrstunde abseits vom Klassenzimmer. 

Gabriele Molsen selbst kennt die Kindernothilfe schon seit 1974 – seitdem haben sie und ihr Mann insgesamt 23 Patenkinder unterstützt. 1988 besuchten sie auf einer Südafrikareise eine Kirche, die während der Woche als Kindergarten genutzt wurde. Die rund 30 Matratzen auf dem Fußboden des Backsteinbaus waren für den Mittagsschlaf der Kinder gedacht. Zum Erstaunen der Molsens erklärte ihnen die Kindergärtnerin: „Die Matratzen hat eine Organisation aus Deutschland finanziert, die dort kaum jemand kennt, die aber hier gut bekannt ist: die Kindernothilfe.“

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"Wollt ihr nicht einen Arbeitskreis gründen?"

Molsens kehrten nach Deutschland zurück und sagten: „Was wir machen, reicht nicht, wir müssen noch mehr tun!“ Sie legten in der Praxis Kindernothilfe-Material aus, Gabriele Molsen trommelte mit ihrer Nachbarin Monika Herter ein paar Frauen zusammen und machte mit ihnen Öffentlichkeitsarbeit für das Hilfswerk. „Wir nutzen Veranstaltungen in unserem Dorf, um die Arbeit der Kindernothilfe vorzustellen – Märkte, Feste, Gottesdienste, Aktionen in Schulen“, zählt Gabriele Molsen auf. Dann rief die Kindernothilfe an, um zu fragen, ob sie nicht einen Arbeitskreis gründen wollte. „Aber wir sind doch schon längst einer!“, war ihre Antwort. Seit 1993 sind sie es nun auch offiziell.

Im Februar feierte die Gruppe ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem Gottesdienst in der evangelischen Arche Noah Kirche, die ein Patenkind in Brasilien unterstützt, und einem Patentreffen. Jürgen Schübelin ein, Kindernothilfe-Referatsleiter für Lateinamerika und Karibik, berichtete über die Arbeit in Brasilien. „Die Festveranstaltung hat mich sehr beeindruckt“, so Schübelin. „Dem kleinen Arbeitskreis mit Dr. Gabriele Molsen an der Spitze ist es gelungen, die Kirche komplett zu füllen – und auf sehr eindrucksvolle Weise die Verbundenheit dieser Gemeinde mit unserer Arbeit in Brasilien zum Ausdruck zu bringen.“

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Bis zum nächsten Einsatz!

Der Markt in Lachendorf neigt sich dem Ende zu. Für den Arbeitskreis war der Tag ein großer Erfolg: Viele Leute haben den Stand besucht, und dann sind auch noch 520 Euro Spenden zusammengekommen! In Windeseile haben die Arbeitskreismitglieder Pavillon, Stühle, Tische, Boxen, Kleinkram zusammengepackt und zu zwei Autos geschleppt. Hier merkt man die jahrelange Routine.


„Das Afrika-Puzzle passt nicht mehr in unseren Wagen“, sagt Gerd Molsen. Wortlos geht seine Frau zum Kofferraum, verschiebt hier ein bisschen und rückt dort etwas zurecht. Dann schnappt sie sich das große Puzzle-Brett und schiebt es problemlos auf die übrige Ladung. Der Kofferraumdeckel klappt zu, wir sind abfahrbereit. Zu Hause heißt es auspacken, ins Haus schleppen, verstauen – bis zum nächsten Einsatz. Und der wird bei diesem Arbeitskreis nicht lange auf sich warten lassen!

 

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Über die Autorin 

Gunhild Aiyub (Quelle: Jakob Studnar)
Gunhild Aiyub ist seit mehr als 30 Jahren Redakteurin bei der Kindernothilfe. Sie ist verantwortlich für die Kindermedien, das Magazin und den Jahresbericht.
    

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