Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Mode und soziales Engagement: Siggi Spiegelburg und der Arbeitskreis Münster

Interview im Mai 2019: Gunhild Aiyub, Fotos: Ralf Krämer © Kindernothilfe

Der Kreativkai im Münsteraner Hafen. Ein Haus aus rotem Backstein, davor wächst ein Rosenbusch. Für die Stadt Münster ein gewöhnlicher Anblick. Man tritt durch die Eingangstür – und jetzt ist nichts mehr gewöhnlich, man wird fast umgeworfen von einer Explosion von Farben, Mustern und Materialien, von barocken Spiegeln und Bilderrahmen, von geballter Kreativität und Lebensfreude. Gemeinsam mit Afra Holtstiege (51) und Milana Mohr (35) vom Kindernothilfe-Arbeitskreis Münster sind wir mit Siggi Spiegelburg (62) verabredet. Wir nehmen Platz an einem Tisch, an dem sonst die Kundinnen – darunter bekannte Sportlerinnen und andere Prominente – sitzen und sich bei einer Tasse Kaffee in Modefragen beraten lassen.

Wie kam es, dass Frau Spiegelburg 2011 Schirmherrin des Arbeitskreises wurde?

Siggi Spiegelburg: Durch unsere Bürgermeisterin Karin Reismann habe ich den Arbeitskreis kennengelernt. Sie hatte mich als deren Schirmherrin vorgeschlagen. Ich fand das eine tolle Sache und engagiere mich gerne. Seit 15 Jahren organisiere ich mit Myriam Freifrau von Korff die „First Class“- Kleiderbörse in Schloss Harkotten, und jetzt geht der Erlös unter anderem auch an die Kindernothilfe. Wir wollten hochwertige Mode verkaufen für den guten Zweck, alles von Privatpersonen gespendet, teilweise natürlich auch aus meiner Kollektion, und das hat eingeschlagen wie eine Bombe. Eine Strickjacke für 1.000 Euro können Sie hier für unter 100 Euro bekommen. Voraus gehen jeweils zwei Wochen harte Arbeit – 5.000 Kleidungsstücke sichten, manches geht in die Reinigung oder ich wasche es zu Hause. Aber mir macht das so viel Spaß! Ich weiß ja, wofür ich es tue. Das ist nicht nur Geld in die Hand zu nehmen, sondern mit eigenem Engagement etwas bewegen. In diesem Jahr waren wieder rund 400 Leute da, und es sind 6.000 Euro für unser Projekt in Malawi zusammengekommen.


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Siggi Spiegelburg in ihrem Atelier (Quelle: Ralf Krämer)
Siggi Spiegelburg in ihrem Atelier (Quelle: Ralf Krämer)
Siggi Spiegelburg in ihrem Atelier (Quelle: Ralf Krämer)
Siggi Spiegelburg in ihrem Atelier (Quelle: Ralf Krämer)

"Meine Mutter und ich haben ein altes Bettlaken genommen und eine Hose daraus geschneidert"

Wie sind Sie zur Mode gekommen?

Siggi Spiegelburg: Als Kind kannte ich meine Mutter neben dem Haushalt nur an der Nähmaschine oder an der Strickmaschine – mit neun Kindern war sie gut beschäftigt! Ich habe ihr gerne geholfen, mal einen Knopf angenäht, mal eine Naht gemacht. Mit 15 hatte ich ein tolles Kleid von C&A, pink, mit Reißverschluss mit einem Ring. Ich wollte aber lieber eine Hose aus dem Stoff haben. Ich dachte, wenn ich mich hinstelle, könnte ich einfach den Stoff zwischen den Beinen zusammennähen. Meine Mutter hat mich erst einmal gewähren lassen, mir dann aber erklärt: Eine Hose braucht einen Schnitt, damit sie richtig sitzt. Wir haben ein altes Bettlaken genommen und eine Hose daraus geschneidert. Und so habe ich angefangen, bei gekauften Kleidungsstücken etwas zu verändern.

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Das Atelier am Kreativkai in Münster (Quelle: Ralf Krämer)
Das Atelier am Kreativkai in Münster (Quelle: Ralf Krämer)
Das Atelier am Kreativkai in Münster (Quelle: Ralf Krämer)
Das Atelier am Kreativkai in Münster (Quelle: Ralf Krämer)

"Als wir diesen alten Kornspeicher umgebaut haben, hatte ich wieder richtig Lust auf einen Laden!"

Bereits mit 21 Jahren hatten Sie Ihr eigenes Geschäft. War das ein Risiko?

Siggi Spiegelburg: Mein Vater, Geschäftsführer verschiedener C&A-Standorte, machte sich damals große Sorgen. Er wusste ja, wie schwer es in dieser Branche ist. Er hat mein Geschäft nur ein Jahr erlebt, er ist früh gestorben. Vorher hat er die Finanzen für meinen Laden geregelt, bei den Banken die Sicherheiten hinterlegt für den Fall, dass es mir mal nicht gut gehen würde. Ich glaube, er war aber auch ganz schön stolz! Ich hatte nur die großen Marken, auch Stricksachen und Schuhe. Und meine Kundinnen sagten oft: Die Sachen, die Sie selbst anhaben, finden wir hier gar nicht – daraufhin meinte ich: Die mache ich ja auch selbst! Ich habe bei den Damen Maß genommen und die Kleidungsstücke nachgeschneidert.

Dann habe ich zwei Töchter bekommen, denen musste ich ja auch gerecht werden, mein Mann war gerade in der Aufbruchphase mit dem Coppenrath-Verlag – er hat mit Kochbüchern angefangen, dann kamen Kinderbücher und schließlich das Merchandising unter meinem Namen. Ich habe acht Jahre lang nur noch eine kleine Schneiderei gehabt und kein Geschäft. Als wir 1999 diesen alten Kornspeicher umgebaut haben, hatte ich wieder richtig Lust auf einen Laden! Hier habe ich eine ganz andere Repräsentanz als früher. Wenn die Kundinnen damals ans Handy gingen, während sie bei mir waren, sagten sie: Ich bin bei meiner Schneiderin. Heute sagen sie: Ich bin im Atelier von Siggi Spiegelburg! Und ich schwelge gerade in den schönsten Kleidern!

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Siggi Spiegelburg mit einigen Kleidern, die sie entworfen hat
Der Laden am Kreativkai 
Siggi Spiegelburg mit einigen Kleidern, die sie entworfen hat
Der Laden am Kreativkai 
Woher beziehen Sie Ihre Stoffe?

Siggi Spiegelburg: Ich bringe sie unter anderem von meinen Reisen mit. Ich achte sehr darauf, wo und wie die Dinge produziert werden, das gilt auch für die Produkte des Coppenrath-Verlags. Mitarbeiter fahren regelmäßig zu den Produktionsstätten, wir haben Agenten, die auf die Bedingungen achten, es wird bei uns nicht einfach nur billig, billig gekauft. Und ich setze mich dafür ein, dass sich Gegebenheiten ändern, unterstütze Hilfe zur Selbsthilfe. Das machen wir vom Arbeitskreis ja auch in dem Projekt für Aidswaisen, das wir in Malawi unterstützen: Wir fördern die Bildung von Kindern, die unwahrscheinlich wichtig ist, damit Menschen in ihrem Land etwas ändern können.
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Siggi Spiegelburg vor Regalen voller bunter Stoffe (Quelle: Ralf Krämer)
Farbenfrohe Stoffballen vom Boden bis zur Decke
Siggi Spiegelburg vor Regalen voller bunter Stoffe (Quelle: Ralf Krämer)
Farbenfrohe Stoffballen vom Boden bis zur Decke

Engagement für Kinder in Malawi


War jemand von Ihnen schon einmal in diesem Projekt in Malawi?

Milana Mohr: Leider nicht, aber Klaus Rudolph, ein Mitglied unseres Arbeitskreises, war schon mehrmals dort und hat Fotos und Videos mitgebracht. In einer Grundschule haben wir vor zwei Jahren eine Projektwoche zum Thema Glück mitgestaltet - Herr Rudolph hat einen Workshop mit den Kindern gemacht und in einem seiner Filme gezeigt, wie die Kinder dort leben. Das war für die Mädchen und Jungen sehr beeindruckend. Der Elternrat hat uns unterstützt, und es ist richtig viel Geld für das Projekt zusammengekommen.

Siggi Spiegelburg: Ich möchte unbedingt mal nach Malawi! Meine jüngere Tochter hat in einem Heim für alleinerziehende Mütter in Addis Abeba gearbeitet, und ich habe sie dort besucht. Das war eine tolle Erfahrung! Das Heim hatte hundert Meter Stoff geschenkt bekommen. Wir haben die Tische zusammengeschoben, und dann hab ich mit den Müttern genäht. Hilfe zur Selbsthilfe! Das würde ich gern mal in einem Kindernothilfe-Projekt machen.  

Afra Holtstiege: Ich war noch nie in Malawi, habe aber Frauenselbsthilfegruppen der Kindernothilfe in Südafrika und Thailand besucht. Da stärken sich die Frauen gegenseitig. Die kommen aus ärmsten Verhältnissen, und wenn sie sich treffen, bringt jede einen Stuhl mit, es wird ein Tisch in die Mitte gestellt, eine weiße Tischdecke darüber ausgebreitet, und die Frauen feiern sich gegenseitig. In einer Gruppe waren alle Frauen ganz chic angezogen mit selbst genähten Kleidern. Wenn eine Frau ihr Geld für die regelmäßige Spareinlage auf den Teller gelegt hat, haben alle gesungen und geklatscht. Wir hatten jedes Mal Gänsehaut, weil uns das so beeindruckt hat - die Motivation der Frauen und dass wir die Möglichkeit hatten, dabei sein zu dürfen, denn wir haben dabei sehr persönliche Schicksale und Probleme erfahren. Eine Frau hatte Schuluniformen genäht und dann war ihre Nähmaschine kaputt gegangen. Jetzt durfte sie das gesparte Geld nehmen und sich eine Nähmaschine kaufen. Sie hat es geschafft, sogar noch eine zweite Nähmaschine anzuschaffen und anderen Frauen die Möglichkeit gegeben, damit Geld zu verdienen. Das ist so beeindruckend!


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Malawi: Kinder und Mütter in Keimange. (Quelle: Jakob Studnar)
Mütter und Kinder in Malawi (Quelle: Jakob Studnar)
Malawi: Kinder und Mütter in Keimange. (Quelle: Jakob Studnar)
Mütter und Kinder in Malawi (Quelle: Jakob Studnar)

3.000 Adventstüten für den guten Zweck

Was ist die nächste Aktion des Arbeitskreises?

Siggi Spiegelburg: Wir packen bald wieder unsere 15-MinutenAdvents-Tüten für eine kleine Auszeit vor Weihnachten. Wir kündigen in der Zeitung an, dass es die Tüten gibt, und verkaufen sie in drei Geschäften – natürlich auch hier im Laden. Und die Leute kommen sofort, wenn der Hinweis in der Zeitung stand. Viele fragen schon von alleine: Ab wann haben Sie die Tüten? Eine Tüte kostet 3 Euro; im vergangenen Jahr haben wir 3.000 Stück gepackt! Wir treffen uns an drei, vier Tagen im M44 Meeting Center in Münster, schieben die Tische aneinander, und dann geht das zu wie in einer Packstraße! Der eine holt die Teebeutel aus der Packung, der Nächste packt die Kekse ein, einer schneidet die Schleifenbänder zu, ein anderer stanzt das Loch dafür in die Tüte, der Letzte macht die Aufkleber drauf. 2018 waren wir 20 Leute. Die Bürgermeisterin kommt auch immer einmal vorbei und hilft. Es gibt Käse, Getränke und Musik, das ist ein richtig nettes Beisammensein.


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Adventstüten des Arbeitskreises Münster
 (Quelle: privat)
Arbeitskreis Münster: Packen der Adventstüten (Quelle: privat)
Adventstüten des Arbeitskreises Münster
 (Quelle: privat)
Arbeitskreis Münster: Packen der Adventstüten (Quelle: privat)

"Wir machen es, weil wir überzeugt sind, dass die Arbeit der Kindernothilfe richtig gut ist!"

Wer hilft dem Arbeitskreis beim Packen?

Milana Mohr: Die Arbeitskreis-Mitglieder machen Werbung für diesen Termin in ihrem Umfeld, über einen Verein in Münster, der soziales Engagement fördert in Unternehmen, über Freunde. Aber es fragen auch schon Leute nach den Sommerferien: Wann geht’s endlich los? Kann ich wieder mitmachen? Das ist ein tolles Miteinander.

Afra Holtstiege: Diejenigen, die schon mal mitgemacht haben, kommen gerne wieder und bringen auch noch andere mit. Wir sitzen an den langen Tischen und haben dann als Arbeitskreis auch die Möglichkeit, über die Kindernothilfe zu reden und unser Projekt in Malawi vorzustellen - es ergibt sich schon automatisch, dass die Leute fragen: Wofür macht ihr das denn eigentlich? Und warum? Es gibt sogar Unternehmen, die Mitarbeiter freigestellt haben für diese Aktion! Im vorletzten Jahr hat jemand seinen Vater mitgebracht. Der meinte: Ich kann nicht mehr so gut sehen, und Schleifenbinden ist auch nicht mein Ding, aber Aufkleber draufmachen, das kann ich noch. Jeder findet eine Aufgabe und geht glücklich nach Hause, weil er das Gefühl hat, er hat etwas Gutes getan.

Milana Mohr: Manchmal müssen wir auch kleine Krisenmanager sein – einmal waren uns viele Kekse vertrocknet, weil sie nicht gut verpackt waren. Dann haben Afra und ihre Kollegen die ganze Woche gebacken und meine Nachbarn auch.

Afra Holtstiege: Diese Aktion ist ja auch etwas Sinnstiftendes. Wir machen das nicht, weil wir Langeweile haben, sondern weil wir Gutes tun wollen, weil wir unserer Arbeit und unserem Leben einen zusätzlichen Sinn geben wollen. Auf der anderen Seite sind wir damit super als Botschafter für die Kindernothilfe unterwegs. Und wir machen es, weil wir überzeugt davon sind, dass die Arbeit der Kindernothilfe richtig gut ist! Sonst würde ich es nicht machen. Ich bin so überzeugt davon, dass das der richtige Ansatz ist, um Menschen zu helfen.

Siggi Spiegelburg: Mir macht das Freude. Ich finde das toll, was man bewegen kann – aus eigener Kraft! Und ich finde es wichtig, andere zu motivieren, wachzumachen.


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Über die Autorin

Gunhild Aiyub (Quelle: Jakob Studnar)
Gunhild Aiyub ist seit 1986 Redakteurin bei der Kindernothilfe und zuständig für die Kindermedien, den Jahresbericht und das Kindernothilfe-Magazin. 
    

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