Sri Lanka: Freundschaften zwischen Religionen verhindern Vorurteile
Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch
In Sri Lanka sind vier Weltreligionen vertreten. Die Vorurteile zwischen ihren Angehörigen sitzen oft tief und es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Um die Kluft zu überwinden, hilft der Kindernothilfepartner Sri Lanka Unites, Freundschaften zu stiften.
„Zieh die Schuhe aus“, ruft Alisha ihrer Freundin zu als, sie gemeinsam den Hindutempel von Norwood besuchen. Aber es wäre gar nicht nötig, das zu sagen. Die 14-Jährige Joyal kennt die Regeln genau – auch wenn sie als Christin die Schuhe anlassen darf, wenn sie eine Kirche betritt. Alisha nimmt Joyal an die Hand, läutet die Glocke, damit die Göttin Devi weiß, dass Besuch kommt, und zeigt ihrer Freundin den Schrein.


Bleiben Angehörige der Religionen unter sich, schürt das Vorurteile
Obwohl sie oft in unmittelbarer Nachbarschaft leben, haben die Angehörigen der verschiedenen Gruppen meist kaum Kontakt miteinander. Ihre Kinder gehen nicht einmal in dieselben Schulen. „Die Menschen leben nach Religionen getrennt“, meint Vishni Vincent. „Das befeuert Vorurteile, und es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.“ Die Co-Landesdirektorin des Kindernothilfepartners Sri Lanka Unites (SLU) erinnert nicht nur an den Bürgerkrieg, sondern auch an die Osteranschläge von 2019 auf Kirchen in Colombo und 2018 die Unruhen in Kandy, als Moscheen, Musliminnen und Muslime angegriffen wurden.












"Für ein friedliches Zusammenleben müssen wir mehr übereinander wissen“
Zweimal pro Wochen treffen sich die Kinder zu gemeinsamen Bastelprojekten und Wettbewerben, üben Straßentheaterstücke ein, machen Ausflüge zu Tempeln, Kirchen und Moscheen und ja, auch die Schulungen, für die ihre Eltern sie angemeldet haben und deren Abschluss heute gefeiert wird. Eine der stolzen Absolventinnen ist Nila. „Wenn wir alle friedlich gemeinsam in einem Land leben wollen, müssen wir mehr übereinander wissen. Deswegen habe ich auch einen tamilischen Tanz auf der Feier vorgeführt.“ Für viele im Publikum war das etwas ganz Neues. So wie für Nila die Traditionen im Islam und Christentum. „Was mich besonders überrascht hat, ist, dass Musliminnen und Muslime während des Ramadans nicht fernsehen“, meint die Zwölfjährige. „Und ich liebe die Atmosphäre in der Kirche, da ist es so schön ruhig.“








Verständigung zwischen den Religionen auf Englisch
Die Kinder sollen nicht nur Angehörige anderer Religionen in ihrer Nachbarschaft, sondern in ganz Sri Lanka kennenlernen. Deswegen organisiert SLU für die etwas Älteren jedes Jahr mehrere Workshops, in denen sich Jugendliche aus dem ganzen Land treffen. Jannet hat vor ein paar Wochen in der Hauptstadt Colombo daran teilgenommen. Für die 15-Jährige war es das erste Mal, dass sie die Teeberge verließ, wo die Bevölkerung hauptsächlich tamilisch ist. „Ich war sehr aufgeregt, schon deshalb, weil ich gar nicht wusste, wie ich mich mit den Singhalesinnen und Singhalesen verständigen soll. Sie sprechen ja eine andere Sprache. Aber dann sagte Shanmugaraja Kanishiya, ‚ihr lernt doch alle Englisch in der Schule, das könnt ihr nutzen‘, und sie hatte recht!“
Sprachliche Barrieren waren nicht Jannets einzige Sorge. Die buddhistischen Singhalesinnen und Singhalesen machen nicht nur drei Viertel der Bevölkerung aus, sondern sind auch wirtschaftlich und politisch einflussreicher als das Volk der Tamilen. „Ich dachte, die sind bestimmt sehr arrogant und wollen gar keinen Kontakt mit mir haben“, erinnert sie sich. „Aber das stimmt nicht. Alle waren sehr nett. Wir haben mehr gemeinsam als uns trennt. Wir interessieren uns für dieselben Spiele, haben die dieselben Sorgen vor Prüfungen. Es gibt keine Unterschiede.“ Obwohl der Workshop nur ein Wochenende dauerte, knüpfte Jannet über die kulturellen Grenzen hinweg Kontakte. Jedes Wochenende chattet sie per WhatsApp mit ihren neu gewonnenen Freundinnen und Freunden und hofft, sie bald wiederzusehen.


„Freundschaften zwischen Kulturen machen immun gegen Stimmungsmache“


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Die Autorin

Katharina Nickoleit
Freie Journalistin, die seit vielen Jahren mit ihrem Mann unsere Projektländer bereist und Reportagen mitbringt.