Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Bürgerkrieg in Myanmar: Eltern schicken ihre Kinder ins sichere Thailand

Text: Alicia Mankel

Weitgehend unbeachtet von unseren Medien herrscht in Myanmar ein blutiger Bürgerkrieg. Familien fliehen nach Thailand, oft werden auch nur die Kinder über die Grenze geschickt, damit sie in Sicherheit sind. Aber sie sprechen kein Thailändisch und müssen häufig auch arbeiten, um zu überleben. Eine Schulbildung ist damit für sie unerreichbar, ein Leben in Armut schon vorbestimmt. Der Kindernothilfepartner Rights Beyond Borders setzt auf lokale Lernzentren: für ihre Bildung und bessere Zukunftschancen.

Yanki strahlt Zuversicht aus, als er mir von seinem Traum erzählt, Formel-1-Profi zu werden. Dafür plant er, seine Schulausbildung abzuschließen und eine Ausbildung zum Mechaniker zu machen. Das Rennauto wolle er dann aber selbst fahren, erklärt er bestimmt. Während er mir hoffnungsvoll von seinen Zukunftsplänen berichtet, wird deutlich, dass all dies vor Kurzem noch unmöglich schien. Im Jahr 2020 veränderte sich Yankis ganzes Leben. Zuerst schlossen die Schulen in seiner Heimat Myanmar aufgrund der Coronapandemie, und er konnte nicht mehr lernen. Am 1. Februar 2021 stürzte das Militär die Regierung unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi – ein blutiger Bürgerkrieg brach aus. Yankis Eltern hatten Angst um ihren Sohn und dass er womöglich als Kindersoldat rekrutiert werden würde, deshalb schickten sie ihn mithilfe eines Fluchthelfers ins Nachbarland Thailand.

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Eine Hand hält eine Kette aus Papiergliedern, auf denen Begrife stehen (Quelle: privat)
Die Kinder haben aufgeschrieben, was sie einmal werden wollen: Feuerwehrmann, Präsidentin, Sängerin oderAstronaut – ihre Pläne sind vielfältig und inspirierend  (Quelle: Alicia Mankel)
Eine Hand hält eine Kette aus Papiergliedern, auf denen Begrife stehen (Quelle: privat)
Die Kinder haben aufgeschrieben, was sie einmal werden wollen: Feuerwehrmann, Präsidentin, Sängerin oderAstronaut – ihre Pläne sind vielfältig und inspirierend  (Quelle: Alicia Mankel)
Zwei Jahre nach seiner Flucht treffe ich Yanki in Mae Sot, einer kleinen thailändischen Stadt an der Grenze zu Myanmar. Nur ein schmaler Fluss trennt die beiden Länder, über den viele Menschen nach Thailand fliehen. Darunter auch viele Kinder wie Yanki, manche mit ihren Familien, andere werden von ihren Eltern allein über die Grenze geschickt, damit wenigstens sie in Sicherheit sind. Doch die Herausforderungen beginnen mit dem Schulsystem in der neuen Heimat: Die meisten Mädchen und Jungen sprechen kein Thailändisch und können daher nicht auf dem Niveau weiterlernen, auf dem sie in Myanmar aufhören mussten. Zudem können sich viele Eltern das Schulgeld nicht leisten. Ihre Kinder müssen arbeiten, um die Familien zu unterstützen. In zahlreichen Städten gibt es daher sogenannte Migrant Learning Centers, Lernzentren, die oft von Migrantinnen und Migranten selbst geführt werden. Hier sollen geflüchtete Kinder Bildung bekommen – ein Anliegen, das auch Mod, die Leiterin unserer Partnerorganisation Rights Beyond Borders, verfolgt. Mit ihr besuche ich heute drei der 46 Lernzentren in Mae Sot. In der Tak-Provinz gibt es noch 64 weitere solcher Projekte.
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Eine Lehrerin steht vor einer weißen Tafel, in Schüler sitzt vor ihr (Quelle: Alicia Mankel)
Yanki ist dankbar, dass er durch den Kindernothilfepartner seine Schulbildung fortsetzen kann (Quelle: Alicia Mankel)
Eine Lehrerin steht vor einer weißen Tafel, in Schüler sitzt vor ihr (Quelle: Alicia Mankel)
Yanki ist dankbar, dass er durch den Kindernothilfepartner seine Schulbildung fortsetzen kann (Quelle: Alicia Mankel)

Aye Aye (14) floh vor den Bombenangriffen des Militärs

Obwohl es früh am Morgen ist, als Mod und ihr Kollege Ma mich abholen, sind es schon fast 30 Grad. Die Luft ist feucht. Während wir im Geländewagen durch die Straßen von Mae Sot rumpeln, erzählt Mod mir von ihrer Arbeit mit Geflüchteten und den Herausforderungen, die diese mit sich bringt – dazu zählt zum Beispiel der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung oder rechtlichem Beistand. In einem der Zentren sehe ich als Erstes einige der zahlreichen Straßenhunde in Mae Sot müde in der Sonne liegen. Verständlich, bei der Hitze. Bei der Ankunft werde ich sofort gebeten, weder den Namen noch die Lage des Zentrums preiszugeben. Die meisten Geflüchteten aus Myanmar leben hier in Thailand ohne offizielle Papiere. Niemand will das Risiko eingehen, nach Myanmar zurückgeschickt zu werden, solange dort noch Krieg herrscht.

Die junge Aye Aye erzählt mir ihre traurige Geschichte. In ihrem Dorf konnte sie oft die Detonation von Bomben hören, die von Kampfflugzeugen abgeworfen wurden und Tod und Zerstörung brachten. Hier im Lernzentrum fühlt sich die 14-Jährige endlich wieder sicher. Jetzt kann sie sich auf die Schule konzentrieren, denn sie will später Chirurgin werden. Trotzdem sind wir so nah an der Grenze zu Myanmar, dass manchmal auch hier die Bomber des Militärs jenseits der Grenze zu hören sind, ein furchterregendes Geräusch für die traumatisierten Geflüchteten.
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Ein Lehrer erklärt etwas auf einer Leinwand (Quelle: privat)
Ein Lehrer aus einem der Lernzentren (Quelle: privat)
Ein Lehrer erklärt etwas auf einer Leinwand (Quelle: privat)
Ein Lehrer aus einem der Lernzentren (Quelle: privat)

Lehrer Tin Win war früher selbst Schüler im Lernzentrum

Wir treffen auch auf Aye Ayes Lehrer Tin Win, der einst selbst Schüler hier war. „Ich bin sehr dankbar für die Chancen, die ich im Learning Center bekommen habe“, sagt der 24-Jährige. „Deshalb habe ich mich entschlossen, etwas für Kinder zu tun, die wie ich ohne Familie über die Grenze gekommen sind.“ Im Zentrum können sie nicht nur zur Schule gehen, sondern auch wohnen. Es gibt Schlafhäuser aus Bambus, eines für Mädchen, eines für Jungen. Auch Tin Win übernachtet hier. Die Kinder haben oft schreckliches Heimweh oder Angst im Dunkeln, und es ist tröstlich für sie zu wissen, dass Tin Win bei ihnen ist.

Aye Aye gehört zu den Kindern, die im Lernzentrum wohnen. Hier gibt es Platz für 87 Mädchen und Jungen, aber seit den erneuten Bombenangriffen im Oktober 2023 leben hier inzwischen mehr als 200. Für viele von ihnen sind die Lehrkräfte die einzigen rechtlichen Vormunde. Sie stehen vor vielfältigen Aufgaben, um ihren Schützlingen gerecht zu werden. Neben der Vorbereitung des Unterrichts und der Freizeitgestaltung müssen sie sich auch um die finanziellen Angelegenheiten und das leibliche Wohl kümmern. Finanziert werden solche Lernzentren zum Beispiel durch Schulgebühren: Ein Schuljahr kostet hier rund 300 Thailändische Baht, das sind etwa acht Euro. Eltern, die sich das nicht leisten können, dürfen auch weniger zahlen. Die Leitungen dieser Zentren kennen die schwierige Lage der geflüchteten Familien in Mae Sot – deshalb dürfen oft auch solche Kinder bleiben, deren Eltern die Gebühren gar nicht bezahlen können oder die ganz allein geflüchtet sind.
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Bunt gestreifte Tüten, vor denen Spielzeuge und Lernmaterial stehen (Quelle: Kindernothilfepartner
Die Familien erhalten vom Projekt „Regenbogentüten“ mit haltbaren Lebensmitteln, Spielzeug und Lernmaterial (Quelle: Kindernothilfepartner)
Bunt gestreifte Tüten, vor denen Spielzeuge und Lernmaterial stehen (Quelle: Kindernothilfepartner
Die Familien erhalten vom Projekt „Regenbogentüten“ mit haltbaren Lebensmitteln, Spielzeug und Lernmaterial (Quelle: Kindernothilfepartner)
Die Zentren haben häufig nur ein kleines Budget zur Verfügung. Der Kindernothilfepartner unterstützt die Kinder und Familien deshalb zum Beispiel mit sogenannten Regenbogentüten. Diese Tüten enthalten unter anderem haltbare Lebensmittel und Spielzeug. Trotzdem reicht das Geld oft nicht. Die Lernzentren werden vom thailändischen Bildungsministerium nicht anerkannt, deshalb gibt es keine Hilfe vom Staat. In einem der Zentren erhalten die Schülerinnen und Schüler daher nur zwei Mahlzeiten am Tag.
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Thailand: Ein Feld mit Gemüse und Bäumen (Quelle: Alicia Mankel)
Die Kinder verbringen gerne Zeit auf dem Acker. Sie säen, pflanzen, ernten und helfen auch beim Kochen mit. (Quelle: Alicia Mankel) 
Thailand: Ein Feld mit Gemüse und Bäumen (Quelle: Alicia Mankel)
Die Kinder verbringen gerne Zeit auf dem Acker. Sie säen, pflanzen, ernten und helfen auch beim Kochen mit. (Quelle: Alicia Mankel) 

Gemüse in Autoreifen und frische Eier von eigenen Hühnern

Tin Win erzählt mir begeistert von einem neuen Landwirtschaftsprojekt, das sie jetzt in seinem Zentrum gestartet haben: ein Acker direkt neben dem Gebäude. Mit dem Anbau von Kräutern, Bohnen, Salat und vielem mehr kann der Speiseplan erheblich verbessert werden. Während wir über das eingezäunte Feld schlendern, zeigt mir Tin Win hochwachsende Beeren und junge Setzlinge in Beeten aus mit Erde gefüllten Autoreifen. Küken huschen zwischen unseren Beinen hindurch, in der Nähe kräht ein Hahn. 
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Ein Mann steht auf einem Feld (Quelle: Alicia Mankel)
Lehrer Tin Win zeigt der Autorin den Gemüseacker des Projekts (Quelle: Alicia Mankel)
Ein Mann steht auf einem Feld (Quelle: Alicia Mankel)
Lehrer Tin Win zeigt der Autorin den Gemüseacker des Projekts (Quelle: Alicia Mankel)
Es gibt noch einen weiteren Vorteil, erklärt mir Tin Win: Der Acker ist auch ein idealer Ort für die Mädchen und Jungen, um abzuschalten. Wenn er im Unterricht merkt, dass die Konzentration nachlässt, geht er mit ihnen nach draußen, damit sie frische Energie tanken können. Das hat bisher jedes Mal geholfen!
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Die Autorin

Alicia Mankel, Freelancer der KNH, besuchte Projekt in Thailand

Alicia Mankel

arbeitet im Bereich Schutz & Migration und unterstützt die Kindernothilfe als Freelancerin.  2022 besuchte sie Kindernothilfe-Projekte in Thailand.

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