Brasilien: Bildung für mehr Klimaschutz
Text: Katharina Draub Bilder: Jakob Studnar
Extreme Hitze, fehlende Nahrungsquellen, plötzliche Regenfälle und Überschwemmungen - unter den Folgen der Klimakrise leiden vor allem die Menschen in ärmeren Regionen der Welt. So etwa im Nordosten Brasiliens. Der Meteorologe und Kindernothilfe-Botschafter Karsten Schwanke hat rund um Fortaleza Kindernothilfe-Projekte besucht und erfahren, warum Bildung für Klimaschutz eine so große Rolle spielt.
Noch vor zehn Jahren hätte Karsten Schwanke mitten im Wasser gestanden.
Heute ist vom großen Fluss weit und breit keine Spur mehr. Stattdessen steht der Meteorologe auf trockenem, graubraunem Boden zwischen abgestorbenen Mangroven und blickt in die Ferne. "Der Klimawandel ist nicht nur eine theoretische Bedrohung. Er ist Realität und eine Gefahr für die Kinder und Familien, die hier leben", sagt er.
Karsten Schwanke ist Klima-Experte. Als Wissenschaftsjournalist und TV-Meteorologe, bekannt aus den Wettervorhersagen der ARD, berichtet er regelmäßig über die Auswirkungen der Klimakrise. "Vor Ort zu sein und mit betroffenen Menschen direkt zu sprechen, ist etwas ganz Besonderes. Die Folgen des Klimawandels mit eigenen Augen zu sehen - das macht was mit einem", sagt er.


"Früher hatten wir immer von Januar bis Juni eine Regenzeit und von Juli bis Dezember eine Trockenzeit. Im Jahr 2023 hatten wir allerdings nur zwei Monate, in denen es geregnet hat", erzählt João, der Dorfälteste. "In den letzten drei Jahren war es hier so trocken wie noch nie." Unter einem Dach, das die Hitze der prallen Sonne abzuhalten versucht, zeigt er Karsten Schwanke auf einer Landkarte, wie sich das Gebiet des Quilombos verändert.
"Habt ihr Angst, dass sich die Dünen der Küste immer weiter ausbreiten?", möchte der Meteorologe wissen. "Ja, auf jeden Fall. Der Klimawandel beschleunigt diesen Prozess. Die Dünen kommen immer schneller ins Landesinnere, und unsere grünen Flächen werden immer schmaler", erklärt João. "Dadurch steht die Zukunft unserer Gemeinde auf dem Spiel."


Flüsse trocknen aus, Mangroven sterben ab
Was die ausbleibende Regenzeit bedeutet, möchte uns João zeigen. Zu Fuß geht es zum Flussufer. Dort liegen kleine bunte Holzboote mit der Aufschrift "Quilombo do Cumbe". Karsten Schwanke, João, weitere Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes sowie Renato Pedrosa, Präsident vom Kindernothilfepartner Instituto Terre des Hommes Brasil (TdH), steigen in eines der Boote.
Die Fischer schmeißen die lauten Motoren an, und fahren rasant durch den Nebenarm des Flusses zu einer nahe gelegenen Insel.


Daran erkennt man die Unterschiede zwischen den Generationen", sagt Karsten Schwanke mit einem Lächeln, "Ana als Einzelkämpferin erreicht dadurch richtig viele Menschen. Das ist großartig!"


Doch Ana könnte zu den Menschen gehören, die zukünftig ihre Heimat aufgrund der Klimafolgen verlassen müssen - so wie rund 220 Millionen Menschen weltweit in den vergangenen zehn Jahren. "Ich liebe unseren Strand und das Meer. Aber die Folgen des Klimawandels machen das Leben hier nicht einfach."
Umweltschutz im Unterricht
Dass Jugendliche schon früh von den Folgen des Klimawandels erfahren, ist dem Kindernothilfepartner TdH sehr wichtig. Denn dadurch, dass der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro den Klimawandel abstritt, herrschen Unsicherheit und Falschaussagen im Land. Deswegen legt TdH den Fokus der Arbeit auf Bildung und Aufklärung und arbeitet u. a. mit zwölf Schulen in der Großstadt Fortaleza zusammen. Dort haben die Mitarbeitenden das Fach "Umweltbildung" eingeführt. "Die Jugendlichen lernen dadurch mehr über ihre Umwelt und wissen, wie sie sich aktiv einbringen und was sie für den Umweltschutz tun können", erklärt Renato Pedrosa vom Partner TdH. Karsten Schwanke lobt diesen Fortschritt: "Klimaschutz und Umweltbildung haben wir in Deutschland leider nicht als Unterrichtsfach."

In der zehnten Klasse einer weiterführenden Schule wird Karsten
Schwanke schon erwartet. „Olá, meu nome é Karsten. Sou
meteorologista da Alemanha“, stellt er sich voller Vorfreude
vor. 20 Schülerinnen und Schüler sitzen in einem großen
Stuhlkreis zusammen – und haben einige Fragen mitgebracht.
„Wie merken die Menschen in Deutschland den Klimawandel?“,
möchte ein Schüler wissen. „Früher als Kind habe ich jeden
Winter im Schnee gespielt. Und im Sommer lagen die Tempe
raturen nur selten über 30 Grad. Heute ist das anders. Es wird
immer wärmer und heißer. Und Schnee haben wir in vielen
Gebieten kaum noch“, erzählt Karsten Schwanke. „Es gibt
viele Überschwemmungen und gleichzeitig auch viele sehr
trockene Zeiten. Ähnlich wie bei euch in Brasilien“, erklärt der
Experte weiter.
Jugendliche begeistern unseren Botschafter
In Gruppen erarbeiten die Jugendlichen sogenannte Problem- und Lösungsbäume.
Darunter auch die 15-jährige Isis. Mit zwei Freundinnen hat sie einen Platz auf dem Boden des Raums gefunden und schaut auf ihr Plakat. "Der Stamm zeigt die Probleme. Die Wurzeln stehen für die Ursachen und die Blätter für die Auswirkungen", erklärt sie. Lebensmittelverschwendung ist zum Beispiel ein großes Problem, das die Jugendlichen immer wieder nennen. "Es wird so viel unnötig weggeschmissen", beklagt Isis. Karsten Schwanke erklärt: "Das belegen auch Studien. Wenn wir weniger Nahrungsmittel verschwenden würden, wäre es das Beste für den Klimaschutz." Es liegt an jedem Einzelnen, weiß die Schülerin: "Wenn die Regierungen es nicht besser machen, können und müssen zumindest wir etwas für unsere Umwelt tun. Schritt für Schritt." Auch die falsche Entsorgung von Abfällen, illegales Wegwerfen von Zigaretten oder das fehlende Bewusstsein der Menschen für Umweltschutz kritisieren die engagierten Jugendlichen. Der Meteorologe ist begeistert. "Ich bin sprachlos! Das sind so tolle Gespräche und tiefgehende Diskussionen. Es macht wirklich Spaß, dabei zu sein."


Selbst gebaute Abwassersysteme für die Favela
Einige der Schülerinnen und Schüler leben ein paar Kilometer entfernt von der Schule - in einer Favela, einem Armenviertel am Stadtrand von Fortaleza.Auch das Leben dort möchte Renato Pedrosa unserem Botschafter noch zeigen und stellt ihm Carla vor. Die 28-Jährige öffnet mit einem breiten Lächeln das Tor zu ihrem Zuhause und zeigt ihrem Besuch ihr selbst gebautes Hochbeet. Das hat eine besondere Aufgabe: "Mit natürlichen Materialien wie Erde oder Steinen, aber auch Bananenpflanzen baue ich mit den Kindern und Jugendlichen aus unserer Gemeinde alternative Abwasser- und Filtersysteme, damit sie diese zu Hause bei sich nutzen können", erklärt sie Karsten Schwanke, der an den verschiedenen grünen Blättern von Pflanzen riecht. "Wir haben kein Abwassersystem bei uns. Alles fließt direkt aus den Häusern ungefiltert in unseren Fluss", berichtet Carla. Die Materialien halten den Dreck, der nicht in den Fluss gehört, nach und nach auf. So wird immer mehr Wasser gefiltert


TdH unterstützt ihre Arbeit. "Es ist wichtig, dass die Menschen durch Aufklärung und die Arbeit von Carla dafür sensibilisiert werden und sich gegenseitig dabei helfen, den Fluss vor Dreck und Müll zu schützen", so Renato Pedrosa. "Und neben dem Neuerlernten zum nachhaltigen Leben vermittelt Carla den Kindern und Jugendlichen, die häufig mit Gewalt konfrontiert sind, auch noch wichtige soziale Werte", erklärt er.
Dreck und Müll gehören zur Normalität
Wie schlimm es um den Fluss steht, sieht Karsten Schwanke, als er zusammen mit Renato Pedrosa und Carla zum Ufer läuft. „Fluss ist eigentlich das komplett falsche Wort. Das ist eine Müllkippe, ein Abwasserkanal. Entsprechend ist der Geruch. Kaum auszuhalten“, sagt er, als er sich das dreckige Wasser anschaut. „Und gleichzeitig ist dieser Ort aber auch ein Lebensraum für die Kinder, die hier leben. Die rennen herum und spielen hier, weil es keinen anderen Platz gibt.“ Insbesondere an so einem Ort breiten sich jedoch auch viele Krankheiten aus. Denguefieber zum Beispiel oder langwierige Entzündungen durch infizierte Wunden.




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