„Beteiligungsformate müssen diverser und demokratischer werden"
Text: Annette Kuhn Bilder: Jana Berghoff, Jim Papke
Selma Cafferty ist UN-Jugendbeobachterin und hat 2024 den Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen in New York mitgestaltet. Für die 22-Jährige war das eine wichtige Erfahrung der politischen Teilhabe. Sie wünscht sich aber, dass es noch mehr und nachhaltigere Programme gibt, um junge Menschen stärker zu beteiligen und ihren Stimmen mehr Gewicht zu geben.


Wie bist Du zur UN gekommen?
Selma Cafferty: Im Rahmen meines Studiums der internationalen Beziehungen habe ich Anfang 2024 ein Praktikum bei der Deutschen Ständigen Vertretung in Genf gemacht. Dort bin ich auf die Ausschreibung der DGVN, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, aufmerksam geworden. Sie suchten für den Summit of the Future, der im September 2024 in New York stattfand, junge Menschen, die dabei sein wollen und ihre Perspektive einbringen wollen. Ich habe mich beworben und war dann tatsächlich mit vier anderen aus Deutschland dabei. Zu dem Gipfel kamen Jugendliche aus Ländern weltweit. Vor allem waren das UN-Jugenddelegierte. Für Deutschland war meine Gruppe der UN-Jugendbeobachter*innen vor Ort.
Worum ging es bei dem Gipfel, und was war Deine Aufgabe dabei?
Das war eine breite Themenpalette zu allem, was Zukunft ausmacht: Nachhaltige Entwicklung, Klimagerechtigkeit, Frieden und Sicherheit, Wissenschaft und Digitales sowie Jugend und zukünftige Generationen. Die Veranstaltung bestand aus zwei Teilen – vor dem eigentlichen Gipfel gab es die Action Days, die waren tatsächlich vor allem von jungen Menschen gestaltet, und dann kam der eigentliche Gipfel, bei dem auch ein Pakt für die Zukunft geschlossen wurde.
Aber es gab auch über den eigentlichen Gipfel hinaus viel zu tun: Unsere Rolle würde ich als eine Art Sprachrohr zwischen den UN und der Zivilgesellschaft in Deutschland beschreiben. Wir haben die Menschen auf Konferenzen oder Diskussionsveranstaltungen über den Zukunftsgipfel und die Verhandlungen informiert. Vor allem haben wir junge Menschen in Deutschland adressiert und mit ihnen diskutiert, was so ein Pakt bewirken und wie man die Umsetzung vorantreiben kann. Aber je länger der Zukunftsgipfel zurückliegt, desto seltener werden solche Veranstaltungen. Inzwischen bemühe ich mich vor allem, meine Learnings aus dem Zukunftsgipfel auf andere Ehrenämter zu übertragen und zu teilen.
Seit der Schulzeit mit Arbeitsweise der UN beschäftigt
War der UN-Beobachterstatus Dein erstes politisches Engagement?
Tatsächlich politisch aktiv ja, aber ich habe mich schon vorher mit dem Thema befasst. In meiner Schule in Heidelberg war ich zum Beispiel in einem Seminarkurs zur Arbeit der UN. Mit dem Kurs sind wir auch einmal auf einer internationalen Model United Nations Konferenz in Den Haag gewesen. Und im Studium in Dresden habe ich zweimal die „elbe Model United Nations“ mitorganisiert, im zweiten Jahr als Generalsekretärin. Das ist eine Konferenz von Studierenden für Studierende, in der man UN-Verhandlungen in verschiedenen Komitees simuliert.


Wie wurdest Du auf die Rolle bei den UN vorbereitet?
Vorbereitungsmaßnahmen von der UN gab es aus meiner Sicht ein bisschen zu wenig. Wir mussten erst mal herausfinden, wie der Rahmen ist und welche Möglichkeiten wir konkret haben. Das war vor allem learning by doing. Da wären mehr Informationen hilfreich gewesen. Und gewünscht hätte ich mir außerdem ein Medientraining. Aber mein Studium und das Praktikum bei Deutschlands Ständiger Vertretung in Genf waren auf jeden Fall eine gute Vorbereitung. Und vor allem war der enge Austausch mit den Jugenddelegierten aus anderen Ländern sehr wertvoll, das ist ein so wichtiges Netzwerk. Die, die schon länger dabei waren, wussten viel und haben das auch weitergegeben. Das war für mich die hilfreichste Ressource. Daher finde ich es auch sehr gut, dass das Prinzip der Jugenddelegierten aus Deutschland inzwischen auch auf diesen Austausch ausgerichtet ist. Es sind jetzt immer zwei Jugenddelegierte im Amt, deren Amtszeit sich für ein Jahr überlappt: Im ersten Jahr ist man Junior, im zweiten Senior. Es arbeitet also immer jemand mit Erfahrung mit jemandem zusammen, der neu dabei ist. Das erleichtert die Phase der Einarbeitung immens.
Wie hast Du dieses Format erlebt – war das eine echte Beteiligung, oder hatte sie mehr symbolischen Charakter?
Da würde ich unterscheiden: Bei den Action Days waren wir sehr frei in der Gestaltung und konnten viel machen, aber bei dem eigentlichen Summit rückten die Jugendlichen wieder in den Hintergrund und waren hauptsächlich auf den Fotos präsent. Ich habe da gedacht: „Ok, so laufen solche Veranstaltungen also normalerweis ab, und vorher durften wir uns ein bisschen austoben.“
Auch hatten wir kaum Möglichkeiten, auf den Text des Pakts einzuwirken. Das lag aber vor allem daran, dass der Bewerbungsprozess sehr spät lief und wir erst im Sommer in die Vorbereitungen des Gipfels kamen, da war der Text schon weitestgehend fertig. Das ist schade, die Stimme junger Menschen hätte hier hörbarer sein können.
Jugendliche sollten nicht nur beobachten, sondern auch beraten können
Wo siehst Du vor allem Verbesserungspotenzial, um Jugendbeteiligung auf UN-Ebene zu verbessern?
Ich sehe hier vor allem vier Punkte:
- Eine frühzeitige Ernennung ist sehr wichtig, damit man von Anfang an im Prozess drin ist und ihn mitgestalten kann.
- Zu Beginn eines Mandats sollte ein gutes Onboarding stehen, um den Teilnehmenden mehr Informationen dazu zu geben, wer für was zuständig ist und auf welcher Ebene man was verhandeln kann. Auch die Netzwerkbildung wäre dann noch effektiver.
- Beteiligungsformate müssen diverser und demokratischer werden. In unserer Gruppe bei der UN hatten alle das Abitur gemacht und studiert. Das bildet nicht die ganze Gesellschaft ab. Hier sollte der Auswahlprozesse noch differenzierter sein und mehr darauf zielen, Vielfalt reinzubringen. Auch wünsche ich mir, dass die Auswahl nicht nur bei Erwachsenen liegt, sondern junge Menschen ein Mitspracherecht haben und wählen dürfen, wer sie in New York und anderswo vertritt.
- Wir sollten mehr beraten als nur beobachten können, um der Perspektive junger Menschen mehr Gewicht zu geben. Dadurch würden wir automatisch mehr eingebunden. Die Gefahr einer nur symbolischen Beteiligung wäre weniger groß.
Was würdest Du jungen Menschen raten, die sich politisch engagieren wollen, aber noch ganz am Anfang stehen?
Eine Wunderformel habe ich da nicht parat. Das hängt sehr davon ab, in welcher Situation oder in welchem Institutionengefüge man sich gerade befindet. Wer noch zur Schule geht, kann schauen, in welchen AGs man sich engagieren kann. Wer eine eigene Idee hat, kann vielleicht selbst eine AG gründen. Aber auch neben der Schule gibt es viele Möglichkeiten für ein Ehrenamt – zum Beispiel im Sport oder beim Klimaschutz. Es gibt viele tolle Initiativen, die sich über neue interessierte Menschen freuen.
Wichtig finde ich, sich Mitstreiter*innen zu suchen, denn im Team macht es gleich viel mehr Spaß, sich zu engagieren. Vernetzung kann dabei auch online stattfinden, wenn die Engagement-Landschaft zum eigenen Anliegen vor Ort (noch) nicht so viel hergibt.
Informieren Sie sich, wie wir die Teilhabe von Kindern fördern
Über die Autorin
