Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten"

Text und Fotos: Christian Herrmanny

In Sambia verbringen Tausende Jungen und Mädchen einen Großteil ihrer Kindheit auf Tabakfeldern, in Steinbrüchen oder in Sandgruben. Anstatt zu lernen und zu spielen, mühen sie sich Tag für Tag ab. Mit ihrer Projektarbeit möchte die Kindernothilfe dafür sorgen, dass Kinder wieder Kinder sein dürfen.

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Die giftige Arbeit am Tabakfeld

Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Kind bei der Arbeit im Tabakfeld (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Arbeit im Tabakfeld (Foto: Christian Herrmanny)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Kind bei der Arbeit im Tabakfeld (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Arbeit im Tabakfeld (Foto: Christian Herrmanny)
Wenn die Sonne senkrecht über den Tabakfeldern von Simunzele steht, beginnt Leylas Arbeitstag. Am heißen Mittag ist die Arbeit am anstrengendsten: Unkraut jäten, Heuschrecken auflesen, reife Blätter ernten. Die Kinderarbeiter auf der Plantage sind von Weitem kaum zu erkennen, sie verschwinden zwischen den großen Pflanzen, laufen schweigend und konzentriert durch die schier endlosen Reihen. Nur ab und zu richtet sich ein Kind auf, dann ist sein Kopf kurz zu sehen. Leyla wischt sich den Schweiß von Stirn und Hals, bückt sich wieder, um weiterzuarbeiten. Hier gibt es täglich viel zu tun. „Ich habe oft Kreuzschmerzen, weil wir so viele Stunden arbeiten“, sagt die Zwölfjährige und bückt sich wieder tief nach unten: Sie knickt die reifen Blätter, deren Färbung leicht ins Gelbliche schlägt und die erste braune Punkte aufweisen, vom Pflanzenstängel ab. „Wenn der Tabak reif ist, dann haben wir so viel zu tun, dass ich nicht zur Schule gehen kann.“ Und in den übrigen Monaten kann Leyla nur am Unterricht teilnehmen, weil sie selbst das dafür notwendige Geld verdient: Die obligatorische Schuluniform, die Hefte und Stifte – das alles ist für die arme Landbevölkerung sehr teuer. Dazu kommen sogenannte „Geschenke“ für die Lehrer, die regelmäßig eingesammelt werden – quasi als Ersatz für die lang abgeschaffte Schulgebühr.
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Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Drei Kinder nebeneinander vor Tabakfeld (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Kinder hängen Tabakblätter auf (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Arbeiterin hängt Tabakblätter auf (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Drei Kinder nebeneinander vor Tabakfeld (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Kinder hängen Tabakblätter auf (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Arbeiterin hängt Tabakblätter auf (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Die Bezahlung für Leylas Arbeit ist schlecht: Nur fünf Kwacha, umgerechnet etwa 45 Cent, bekommt das Mädchen für einen Nachmittag harter Arbeit. „Ich bezahle vom verdienten Geld meine Schulsachen, die Bücher und meine Kleidung. Sogar mein Bett habe ich selbst gezahlt“, so Leyla. „Die Arbeit ist der einzige Weg, diese Dinge zu bekommen.“
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"Ich bezahle vom verdienten Geld meine Schulsachen, die Bücher und meine Kleidung..."

"Ich bezahle vom verdienten Geld meine Schulsachen, die Bücher und meine Kleidung..."

Jungen und Mädchen auf Tabakplantagen und Feldern, in Steinbrüchen und Sandgruben gehören in Sambia zum gewohnten Bild. Dabei ist Kinderarbeit hier eigentlich bis zum Alter von 15 Jahren verboten. Leyla arbeitet schon seit fünf Jahren jeden Tag auf der Tabakplantage. Die Familie sieht dazu keine Alternative. „Wenn wir am Abend zuvor nichts zu essen übrig gelassen haben, gehe ich oft morgens ohne Frühstück aus dem Haus“, sagt Leyla. Die Familien hier im Süden Sambias leben meist buchstäblich von der Hand in den Mund. Dass Kinder arbeiten, stellt kaum jemand infrage. Inzwischen trägt Leyla auf ihren Armen ein gutes Dutzend der großen Tabakblätter. Sie werden zum Trocknen an lange Leinen gehängt. Mit gekonnten Handbewegungen knotet Leyla die Blattstängel in das dünne Seil und trägt sie zum riesigen Ofenhaus, wo der Tabak vier Tage lang bei rund 50 Grad Celsius trocknet. Verantwortlich für das ständige Feuer und die richtige Luftzufuhr sind auch hier die Kinder, diesmal etwas ältere Jungen. Das ganze Dorf lebt vom Tabakanbau, der ist lukrativer als beispielsweise Mais. Aber auch richtig schädlich für die Gesundheit, nicht nur beim Rauchen.

Jetzt kommen die Erwachsenen auf das Tabakfeld, die meisten sind Eltern der kleinen Tabakpflücker. Mit großen bunten Eimern laufen die Mütter und Väter durch die Felder, darin ist ein Pflanzenschutzmittel, das auf die Stängel geträufelt wird. Die Kinder haben zuvor mit geübten Handgriffen sämtliche frischen Knospen abgetrennt, damit die Pflanzen all ihre Kraft in die Blätter stecken, nicht in Blüten oder neue Triebe. Schutzhandschuhe trägt hier niemand. „Wir waschen uns anschließend immer gut die Hände“, sagt eine Mutter. Auch die Kinder halten nach Feierabend die Arme, Hände und Gesichter unter fließendes Wasser. Sie wissen, dass irgendetwas in den Pflanzen ihre Haut „bitter“ macht. Seife gibt es allerdings nicht. Dabei zeigen Studien, dass das Nikotin der Tabakpflanze auch durch Hautkontakt in die Nervenbahnen diffundiert. Wer den ganzen Tag lang mit Tabakblättern arbeitet, nimmt ebensoviel Gift auf wie ein starker Raucher: Nikotin von umgerechnet bis zu 55 Zigaretten wurden schon im Blut von Tabakarbeitern nachgewiesen – was die schwerwiegenden Folgen erklärt.

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Die Brethren in Christ Church: Unser Partner für die Kinder

Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Sozialarbeiter (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Sozialarbeiter (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
„Ich war früher in der Erntezeit und auch danach oft richtig daneben“, erzählt Honest Mwemba, ein ehemaliger Kinderarbeiter, der heute 27 Jahre alt und als Sozialarbeiter tätig ist. „In der Schule konnte ich mich nicht konzentrieren, ich war wie benebelt und fühlte mich immer matt. Ich war total müde und mir ging es richtig schlecht. Das alles führe ich auf das giftige Nikotin im Tabak zurück.“ Die damalige Kindernothilfe-Partnerorganisation Hodi hat Honest seinerzeit ins Programm aufgenommen und seine Schuluniform und die Unterrichtsmaterialien bezahlt. Seine Leistungen waren überdurchschnittlich, später konnte er sogar zum College und zur Universität gehen. Der junge Mann studierte in Sambias Hauptstadt Lusaka Wirtschaftswissenschaften, kam aber anschließend in seine Heimatregion zurück: Die schlimmen Erfahrungen aus seiner Kindheit brachten Honest Mwemba dazu, zunächst als Freiwilliger beim heutigen Kindernothilfe-Partner BIC zu arbeiten. Inzwischen hat er eine Festanstellung bei einer anderen Hilfsorganisation und bringt sich mit all seiner Expertise und ganzer Kraft für die Arbeit mit den ärmsten Kindern ein. „Ich will etwas von der Unterstützung, die ich damals erfahren habe, zurückgeben“, sagt der charismatische junge Mann.
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"Ich will etwas von der Unterstützung, die ich damals erfahren habe, zurückgeben."

"Ich will etwas von der Unterstützung, die ich damals erfahren habe, zurückgeben."

Damit haben Honest Mwemba und auch die Sozialarbeiter bei BIC viel zu tun: Sie suchen Kinder auf, wo immer ihnen ausbeuterische Kinderarbeit begegnet. Sie sprechen mit den Eltern und Großeltern, um diese davon zu überzeugen, dass es bessere Möglichkeiten zur Aufbesserung des Familieneinkommens gibt als Kinderarbeit. Und sie betreuen sogenannte Kinderrechte-Komitees, in denen sich angesehene Erwachsene aus den Dorfgemeinschaften für die Anliegen der Kinder einsetzen. So fährt beispielsweise Sozialarbeiterin Emely regelmäßig ins Umland der Provinzhauptstadt Choma, um die Kinderrechte-Komitees – nach ihrer Gründung, die ebenfalls BIC initiiert – zu beraten und zu unterstützen. Sie informiert über neue politische Entscheidungen, über gelungene Initiativen in anderen Regionen Sambias und hilft bei der Herausforderung, die Komitees in den Dörfern als echte Autorität zu etablieren. Denn die Frauen und Männer kämpfen nicht nur gegen ausbeuterische Kinderarbeit, sondern auch gegen Frühverheiratung, Polygamie und die Ausbreitung von HIV.

Gleichzeitig hat BIC zahlreiche, von den guten Erfahrungen der Kindernothilfe inspirierte, Selbsthilfegruppen (SHG) gegründet. Hier werden die Mütter der ärmsten Familien geschult, gestärkt und in einem sozialen Netzwerk an neue Geschäftsmodelle mit höheren Einkommensmöglichkeiten herangeführt. Dank des gegenseitigen Kreditsystems und einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch finden immer mehr Frauen einen Weg aus der Subsistenzwirtschaft hin zu einträglicheren Jobs, die eine Mitarbeit der Kinder in ausbeuterischen Verhältnissen schließlich überflüssig machen. Die guten Erfahrungen zeigen: Wenn das Haushaltseinkommen für Essen, Schulausgaben, Brennstoff und medizinische Versorgung reicht, dann schicken die Familien ihre Kinder auch nicht mehr zur Arbeit. Aber dieser Weg benötigt Zeit und Vertrauen in die Arbeit der SHG und ihrer Initiatoren.

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Noch kann Chance seine Arbeit nicht aufgeben

Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Junge arbeitet in Sandgrube (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Junge arbeitet in Sandgrube (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Drei Kinder arbeiten in der Sandgrube (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Reportage Sambia: "Ich mache nichts, außer zu arbeiten."; Foto: Drei Kinder arbeiten in der Sandgrube (Quelle: Christian Herrmanny / Kindernothilfe)
Erst seit kurzem ist die Großmutter des zwölfjährigen Chance in einer solchen Selbsthilfegruppe. Die Großeltern nahmen den Jungen und seine Geschwister auf, als die Eltern verstarben. Die Oma stellt in Heimarbeit Besen her, aber der Verkauf läuft noch nicht so erfolgreich, dass Chance seinen Job beenden könnte: Der Junge ist Sandgrubenarbeiter, hackt und schippt jeden Tag Sand, den die boomende Bauindustrie rund um Choma dringend benötigt, seit Choma neue Provinzhauptstadt geworden ist. „Ich stehe morgens ganz früh auf, dann nehme ich mein Werkzeug und gehe in die Sandgrube. Sie ist mein zweites Zuhause“, sagt Chance. Hier arbeitet er von sieben bis zehn Uhr, um sich anschließend bis 16 Uhr um die Schule zu kümmern. „Danach esse ich schnell und arbeite wieder in der Sandgrube, bis es dunkel wird“, so Chance. „Ich bin immer hier, aber ich bin damit nicht glücklich. Andere Freunde haben genug Zeit zum Spielen, Lesen und Lernen, aber ich mache nichts, außer zu arbeiten.“
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"Danach esse ich schnell und arbeite wieder in der Sandgrube, bis es dunkel wird"

"Danach esse ich schnell und arbeite wieder in der Sandgrube, bis es dunkel wird"

Chance, Leyla und viele weitere viel zu junge Arbeiter rund um Choma wissen um ihre Rechte als Kinder. Sie ahnen schon: Wenn die Selbsthilfegruppen, an denen ihre Familien teilnehmen können, die erwarteten Erfolge zeigt, dann können sie die Tabakplantagen, Sandgruben oder Steinbrüche hoffentlich bald verlassen. Und wenn sie selbst gute Schulabschlüsse machen, steht ihnen – wie Honest Mwemba – jede Berufsperspektive offen. Damit ihre eigenen Kinder später einmal nicht schuften müssen.
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Über den Autor

Portraitfoto Christian Herrmanny (Quelle: Jakob Studnar)
Christian Herrmanny war bis 2019 stellvertretender Pressesprecher der Kindernothilfe und Leiter des Projektes "Action!Kidz".
    

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