100 Kinder in einer Klasse – und alle mucksmäuschenstill
Text: Ute Schwarzwald, Bilder: Jakob Studnar
Nzove Hill. Noch bevor wir das erste Klassenzimmer betreten dürfen, zeigt uns Roger Ngenzahayo die Küche der Gatabata Primary School: das Herzstück seiner Schule auf Nzove Hill, einem Dorf in Burundi – diesem armen ostafrikanischen Land, in das, liebe Leserinnen und Leser, Ihre Spenden aus der diesjährigen Weihnachtsaktion von WAZ und Kindernothilfe fließen werden.
Der Schulbesuch in Burundi ist bis zur neunten Klasse kostenfrei. Offiziell gilt auch eine Schulpflicht. Aber viele Kinder in Burundi müssen auf den Feldern mitarbeiten. Viele Familien können sich Schuluniformen, Stifte und Hefte auch einfach nicht leisten. Viele Eltern in Burundi schicken ihre Kinder überhaupt nur in die Schule, weil der Staat jedem Schulkind eine warme Mahlzeit am Tag verspricht.
Doch in Nzove Hill sind die Feuer unter den sieben Kochstellen mit den großen Bottichen darauf erloschen, auch heute bleibt hier die Küche wieder einmal kalt. Tatsächlich gab es im ganzen vergangenen Trimester nur an sieben Tagen etwas zu essen für die Gatabata-Schüler und -Schülerinnen. An allen anderen Tagen brachten sie ihr Feuerholz umsonst mit. An diesen Tagen gab es für sie erst am Abend, wenn die Eltern von der Arbeit heimkehrten, die einzige Mahlzeit des Tages. Wenn es überhaupt eine gab.


Aber auf einem kleinen Feld neben der Küche auf dem Gatabata-Schulhof sprießen zarte Amaranth-Keimlinge aus dem staubigen, roten Boden. Bald sollen hier zudem Kohl und Zwiebeln angepflanzt werden. RBU, Partner der Kindernothilfe in Burundi, gibt das Geld dafür – auch wenn die Ernte nur als gesunde Zusatzkost zur staatlichen Grundversorgung gedacht ist. RBU kooperiert mit der burundischen Regierung, aber Spenden gehen stets direkt an die Einrichtungen und Projekte. Kein Cent soll verloren gehen.
Sechs Toiletten für 1017 Schüler
Aus Lehm und Ziegeln sind die Schulgebäude gebaut. Auf den Wellblechdächern wird Regenwasser gesammelt und in große Tanks geleitet. "Trinken kann man es nicht, aber es hilft, die Hygiene zu verbessern", sagt Schulleiter Ngenzahayo. "Und das Gemüse können wir damit auch bewässern." 1667 Euro kostet ein solcher Regenwassertank. Mit Ihren Spenden, liebe Leser und Leserinnen, könnten weitere Schulen in Burundi damit ausgestattet werden, verspricht die Kindernothilfe.


1017 Kinder zwischen fünf und 14 Jahren besuchen die Gatabata-Schule, es gibt 16 Schulklassen. "Aber wir haben nur sechs Toiletten für alle und nur 200 Bänke und Tische." Wo es an Ausstattung mangelt, sitzen Schüler und Schülerinnen während des Unterrichts auf dem Boden. Bis zu 100 Schüler drängen sich in einem Klassenraum.
Und dennoch ist es mucksmäuschenstill.
"Die ganze Welt schaut auf uns"
In der 9. Klasse steht gerade Englisch auf dem Stundenplan. Ein Junge, der sich mit drei anderen Bank und Buch teilt, liest noch etwas holprig einen Text in der fremden Sprache vor. Es geht um eine Mutter, die sich ärgert, weil ihr Mann das Geld für Bier statt für Lebensmittel ausgegeben hat. In der 6. Klasse nebenan büffeln 92 Schüler und Schülerinnen Mathe. Ein Mädchen dividiert zügig schriftlich an der Tafel vorn. Und in einer dritten Klasse konjugiert ein Junge gerade das französische Verb "être" - "sein". In allen drei Klassen flogen alle Hände in die Höhe, als der Lehrer nach Freiwilligen für die Aufgabe fragte. In allen drei Klassen werden diejenigen, die fürs Vorlesen, Vorrechnen oder Konjugieren ausgewählt wurden und ihre Aufgabe gemeistert haben, mit tosendem Applaus belohnt.
Die ganz Kleinen, in der 1. Klasse, 80 Kinder, die sich auf kaum 20 winzige Bänke verteilen, lernen gerade "das kleine t"; für die Besucher haben sie zudem ein Lied eingeübt. Kinder sollten zur Schule gehen, heißt es darin. "Wer regelmäßig geht, wird schlauer. Wir müssen eifrig lernen. Burundi schaut auf uns. Die ganze Welt schaut auf uns", singen sie und klopfen dazu den Takt auf die hölzernen Tische.
Hinten im Raum liegen Dutzende kleiner Wasserkanister, Schüler-Rationen für einen Tag, am Brunnen unten im Dorf vor dem Schulbesuch von ihnen selbst aufgefüllt. Nach der Stunde trinken die Kinder einen Schluck und erzählen, wie gerne sie zur Schule kommen, wie schön es hier sei. Und dass sie sich "entwickeln" wollen. Dass sie bei Regen im Nassen sitzen, weil das Dach undicht ist, erwähnen sie nicht.
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