Ndi geht nicht mehr zur Schule: Die Mutter braucht ihn
Text: Ute Schwarzwald Bilder: Jakob Studnar
Masango Hill. Ndi sieht aus wie ein Zehnjähriger, wie er da neben seiner Mutter vor ihrer zerfallenen Hütte in Masango Hill sitzt. Er ist aber schon 14 - und der Mann im Haus, seit sein großer Bruder nach Tansania ging, ohne Lebewohl zu sagen. Zweimal schon hat er verhindert, dass ein Auftragsmörder seine Mutter tötet. Ndi will einmal Arzt werden. Doch die Schule besucht er nicht mehr. "Ich kann nicht", sagt das Kind. "Nicht jetzt. Meine Mutter braucht mich."
Editha lebt wieder daheim, bei ihrer Familie. Aber aus ihren Augen ist das Leben gewichen, ihr Blick ist nur noch leer. Die 15-Jährige spricht nicht über die Gewalt, die ihr widerfuhr oder die, die ihr Vater ihrer Mutter antat. Sie erzählt uns nur diese eine, andere Geschichte: "Wenigstens ein einziges Mal in meinem Leben wollte ich so aussehen wie die Teenager in Gitega (der Hauptstadt Burundis), eine Frisur tragen wie die Mädchen dort. Und das ging schief."
Einmal im Leben die Haare schön haben
Editha nahm jeden Job an, den sie bekommen konnte, um ihren Traum zu verwirklichen. Sie trat in den Sparclub ihres Heimatdorfs ein. Sie legte viele Monate jeden BIF, jeden einzelnen burundischen Franc, den sie verdiente, zurück. Als endlich genug beisammen war, ließ sie sich die Haare machen, so wie sie die Teenager in der Stadt trugen. "Ich war so schön und so glücklich, als ich nach Hause kam", erzählt das Mädchen.
Doch die Mutter wusste nicht einmal, wovon sie das Essen für den nächsten Tag bezahlen sollte. Christiane raste vor Wut, als sie Editha sah. Und rasierte ihr den Kopf kahl - wütend, dass ihr Kind sein Geld für eine Frisur statt für Lebensmittel ausgab. Noch am selben Tag verließ Editha die Familie. Inzwischen hat ihre Mutter sie um Entschuldigung gebeten und die 15-Jährige lebt wieder zuhause. Zur Schule geht aber auch Editha nicht mehr.


"Wir mussten im Bananenfeld übernachten"
Ndis und Edithas Geschichten sind keine Einzelfälle. Was die beiden Kinder aus Masango Hill, einem kleinem Dorf in Burundi, erlebten – das erlebten "sehr viele Kinder in Burundi", versichert Monsieur Benoît, Präsident der örtlichen Kinderschutzbehörde CCPE (Comité Communal de Protection de l'Enfance), mit der Réseau Bureau 2000 plus, Partner der Kindernothilfe, zusammenarbeitet. "Wir sehen ungern, dass Mädchen und Jungen nach traumatischen Erfahrungen die Schule verlassen, wir haben sogar ein Budget, um ihnen zu helfen", ergänzt Benoît. "Aber es ist sehr schwer sie zurückzubringen."
Ndis Mutter, Maria Goreti, erzählt, dass ihr Ehemann, Vater ihrer vier Kinder, sie 14 Jahre lang verprügelt und missbraucht habe. "Dann hat er sich eine neue Frau gesucht und ihr einen Teil unseres Landes geschenkt." Sie akzeptierte das, aus Angst vor weiteren Schlägen. Die dennoch nicht ausblieben. "Wenn mein Vater von der fremden Frau nach Hause kam, ist er regelmäßig auf meine Mutter losgegangen, und wir mussten das Haus verlassen, im Bananenfeld übernachten", erinnert sich Ndi. "Ich hatte große Angst da draußen im Dunkeln. Wir haben die ganze Nacht wach gelegen. Am nächsten Tag in der Schule bin ich immer vor Müdigkeit eingeschlafen."
"Mein Herz war wie ein Stein"
Maria Gorettis Mann zwang seine Frau schließlich sogar dazu, zu ihm in das Haus zu ziehen, das er für sich und seine neue Frau gebaut hatte. "Während die beiden sich miteinander vergnügt haben, musste ich für sie kochen", berichtet Ndis Mutter. Über all diese Demütigungen wurde die 39-Jährige schwer krank, körperlich und seelisch. "Mein Herz war wie ein Stein", sagt sie. Irgendwann sprach sie mit niemanden mehr, nur noch mit sich selbst. Erst als sich ein von RBU geschulter "Agent de Changement" einschaltete, der ehrenamtliche Familienberater des Dorfs, ging sie zum Arzt, ließ sich sogar von ihrem Mann scheiden.
"Wir haben gedacht, nun haben wir Frieden", erzählt Ndi. "Aber eines Nachts entdeckte ich zufällig einen Mann mit einem Messer in unserem Haus. Es war ein Bekannter meines Vaters, der den Mann beauftragt und bezahlt hatte, meine Mutter zu töten." Ein zweiter, anderer Bekannter versuchte es wenig später noch einmal. Wieder war es Ndi, der seine Mutter gerade noch rechtzeitig warnen konnte. Die Mutter zeigte danach den Vater an, und der landete tatsächlich im Gefängnis. "Und seit er entlassen worden ist, hat er nie wieder versucht, mich umzubringen", sagt Maria Goretti.
"Natürlich wäre es besser für mich, weiter zu lernen"
Sie fühle sich nun endlich wieder besser, leide nicht länger unter Alpträumen und brauche auch keine Medizin mehr, versichert sie. Aber ihre Augen und der Agent de Changement erzählen eine andere Wahrheit.
Ndi auch. Seit drei Monaten geht er nicht mehr zur Schule. "Meine Mutter ist noch immer krank, ich muss ihr helfen", sagt der 14-Jährige. "Natürlich wäre es gut für mich, weiter zu lernen. Das weiß ich", ergänzt er. "Aber wir haben kein Geld für eine Uniform, Hefte oder Stifte übrig." Im Streit darüber sei die Mutter sehr aggressiv geworden, habe ihn sogar geschlagen. "Aber ich verstehe das", sagt der Junge.


Damit die Kinder Licht zum Lernen haben?
Und daher hilft er nun seiner Mutter bei der Arbeit, sie lebt inzwischen von Gelegenheitsjobs auf den Feldern der Nachbarn. "Das reicht, um mich und die Kinder zu ernähren", sagt sie. Ndi holt zudem täglich das Wasser aus dem Tal, er kocht auch für die Familie. Maria Goretti sagt: "Ich merke, dass Ndi unglücklich ist, dass er viel lieber lernen würde. Vielleicht kann er ja in ein paar Monaten wieder zur Schule gehen. Und vielleicht finden dann die Probleme, mit denen er aufgewachsen ist, endlich ein Ende."
Editha, das 15 Jahre alte Mädchen aus einer anderen Familie weiter oben in Masango Hill, wird ganz sicher nie wieder eine Schule besuchen. "Warum sollte ich?", fragt sie bei unserem Gespräch. Sie will sich lieber um die vier kleinen Geschwister kümmern; zusehen, dass es ihnen gutgeht. Ihr eigenes Glück hat sie verloren gegeben. Die Lampe in ihrer Hütte, für die die Mutter einen Kredit aufnahm, "damit die Kinder Licht zum Lernen haben" – in Edithas Augen war das eine unnütze Ausgabe.
Ein Stift kostet 1500 BIF: 43 Cent
"Manchmal", sagt Claudine Murerwa, RBU-Vize-Chefin, "stoßen auch wir an unsere Grenzen. Aber wir müssen auch Kindern wie Ndi und Editha helfen. Mit Traumatherapien oder einfach nur, indem wir ihr Schulmaterial bezahlen oder ihre Mütter beim Geldverdienen unterstützen." Eine Schuluniform kostet in Burundi, einem der ärmsten Länder der Welt, 50.000 BIF (14,40 €), ein Buch 3500 (1,01 €) und ein Stift 1500 (0,43 €).
Liebe Leser und Leserinnen! Mit dieser Geschichte endet unsere Berichterstattung aus Burundi. Die Spendenaktion läuft aber noch weiter. In der kommenden Woche werden wir Sie über den aktuellen Spendenstand informieren. Und über die vielen guten Dinge, die Ihre Spenden auch für alle früheren Weihnachtsaktionen von WAZ und Kindernothilfe bewirkt haben.


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