Warum Editha den Vater töten wollte
Text: Ute Schwarzwald Bilder: Jakob Studnar
Nzove Hill. „Agents de Changement“ wollen die Frauen in Burundi stärken, zum Wohle aller. Dazu sprechen sie mit deren Männern. Ein Kindernothilfe-Projekt.
„Ich respektiere meine Brüder, aber stärken müssen wir meine Schwestern“, sagt Claudine Murerwa, Vize-Chefin von Réseau Bureau 2000 plus (RBU), Partnerorganisation der Kindernothilfe in Burundi. Denn wenn die Frauen in ihrem kleinen, bitterarmen Land stark seien – dann ginge es allen besser, den Familien, den Dörfern, den Kindern vor allem. Noch haben das nicht alle Männer verstanden. Dass sie ihre Frauen schlagen, ihre Söhne und Töchter vernachlässigen – das ist in den ländlichen, den ärmsten Ecken Burundis nicht ungewöhnlich. Hier, wo die Menschen von weniger als 100 Dollar im Jahr, weniger als 30 Cent am Tag leben. RBU bildet darum in den Gemeinschaften „Agents de Changement“ aus, Dorfbewohnerinnen wie Madame Gaudence.
Ihr Mann, erzählt Clemencia From, sei früher oft betrunken gewesen, ein Schläger, ein furchtbarer Mensch. „Spät in der Nacht ist er heim gekommen, aus der Kneipe oder von einer anderen Frau. Dann hat er getobt, oft die Lebensmittel, wenn es welche gab, mit Asche vermischt. Dann konnten die Kinder und ich nicht im Haus übernachten. Am nächsten Tag hatten wir nichts zu essen.“ Was sie verdient habe, habe er allein ausgegeben. Heimlich habe sie nach der Arbeit auf dem Feld darum Körbe geflochten und verkauft. Ab und an hätte sie so ein wenig Nahrung, auch mal ein paar T-Shirts für die Kinder kaufen können. „Aber eines Nachts, da hat er auch all unsere Kleidung ins Feuer geworfen.“
„Was wäre aus meinen Geschwistern geworden?“
In jener Nacht beschloss Clemencia zu gehen. Sie hielt es nicht mehr aus. Sie fürchtete tatsächlich auch um ihr Leben. Die Knochen hatte ihr der Mann ja schon mehr als einmal gebrochen. Clemencia floh mit dem Baby, das sie noch stillte, aus Nzove Hill im Herzen Burundis zu ihrer Schwester in den Westen, nach Bujumbura. Doch sie fand auch dort keinen Frieden, vier Kinder hatte sie ja zurückgelassen. Sie sorgte sich sehr um sie.
Zu Recht, wie Editha, die Älteste – heute erwachsen und selbst Mutter – erzählt: „Unser Vater hat nur noch Bier getrunken. Auf Kredit. Und die gesamte Bananenernte verkauft, um ihn zu tilgen.“ Sie und ihre Geschwister erhielten von ihm kein Geld für Essen – und schon gar keines für Hefte oder Bücher. Alle vier Kinder mussten die Schule verlassen. Editha erzählt, dass sie damals sogar erwogen habe, den eigenen Vater zu töten. „Doch ich hatte Angst. Was wäre aus meinen Geschwistern geworden, wenn ich ins Gefängnis gegangen wäre?“


„Ntwari könnte Präsident von Burundi werden“
Gérard From blickt zu Boden, während Frau und Tochter erzählen. Dann hebt er den Kopf, schluckt, und bestätigt: „Es stimmt, was sie sagen. Ich war ein schlechter Mann. Ich habe nichts beigetragen zu unserem Leben. Nicht einmal ein kleines Stück Seife. Damals habe ich nur das Bier geliebt. Das Bier war meine Frau.“Clemencia From wandte sich schließlich an Madame Gaudence, die „Agentin des Wandels“ vor Ort. Sie ist hochgeachtet im Dorf, berät die Familien in vielen Fragen. Geschult wurde sie wie die anderen „Agents de Changement“ in anderen Dörfern von RBU. Ihr Ziel: ein besseres Miteinander von Mann und Frau zu erreichen, zum Wohle aller.
In öffentlichen Versammlungen informieren Madame Gaudence und ihre Kollegen und Kolleginnen über die fatalen Folgen von Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung und Diskriminierung. In persönlichen Gesprächen unterstützen sie zudem betroffene Familien.
Ihre Bildertafeln zeigen etwa einen Mann, der davoneilt, die Ziege zu verkaufen. Der in einer Kneipe sitzt, eine fremde Frau an seiner Seite. Während die eigene Frau (mit Gipsbein und weinendem Kind an der Hand) am zerfallenden Haus zurückbleibt. RBU, berichtet Madame Gaudence, habe sie sogar mit Heft, Stift, Regenschirm, Gummistiefeln und Rucksack ausgestattet. „Nun kann ich auch in der Regenzeit meiner Aufgabe nachkommen.“
Es brauchte mehr als ein Gespräch, um bei Gérard From etwas zu bewirken. „Neun Versuche, mich zu ändern, sind gescheitert“, gesteht Edithas Vater. „Aber heute“, sagt seine Frau, „läuft es gut. Schau, wie gut wir und unser Haus aussehen.“
Gérard trinkt nicht mehr; er raucht nicht einmal mehr. Er bezahlt, was bezahlt werden muss. Und er wacht mit Argusaugen über Ntwari, den 14-Jährigen, das einzige seiner Kinder, das noch zur Schule geht. „Ntwari soll lernen, studieren vielleicht“, sagt der Vater. „Er könnte Präsident von Burundi werden.“
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