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Kinder vor einer provisorischen Hütte im Camp Musenyi in Burundi (Quelle: Jakob Studnar)
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„Ich wusste das gar nicht, dass auch Kinder Rechte haben“ 

Text: Ute Schwarzwald Bilder: Jakob Studnar

Für Jugendliche aus dem Kongo ist das Leben im Musenyi Flüchtlingscamp in Burundi am schwersten. Das Lager steht unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Aber für sie gibt es hier keine Schulen, keine Ausbildungschance, keine Perspektive. Die Kindernothilfe unterstützt darum gezielt auch junge Kongolesen im Camp, Menschen wie Kasongo, Bahati und Kiala.

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Kasongo (17): Lernen ist meine große Leidenschaft

Kasongo neben einem Zelt im Camp (Quelle: Jakob Studnar)
Kasongo (17): Als er von einem Ausflug mit Freunden nach Hause kam, war seine Familie verschwunden. Er hat seit jenem Tag im Februar nichts mehr von ihr gehört. (Quelle: Jakob Studnar)
Kasongo neben einem Zelt im Camp (Quelle: Jakob Studnar)
Kasongo (17): Als er von einem Ausflug mit Freunden nach Hause kam, war seine Familie verschwunden. Er hat seit jenem Tag im Februar nichts mehr von ihr gehört. (Quelle: Jakob Studnar)

Kasongo liebt Fußball. Er ist großer Fan des FC Barçelona. Sein Lieblingsspieler ist Marc-André ter Stegen. „Ein Deutscher wie Du“, sagt er und wundert sich, dass die Besucherin „Barças“ Torhüter gar nicht kennt. Im „Club“, erzählt der 17-jährige Kongolese ungefragt, „da spielen wir oft Fußball. Das gefällt mir.“

Der „Club“ – er ist das einzige Angebot für Jugendliche im Musenyi Flüchtlingscamp in Burundi. Organisiert und finanziert wird es von Help Channel Burundi (HCB), Partnerorganisation der Kindernothilfe vor Ort. Auch hierhin sollen Ihre Spenden fließen, liebe Leser und Leserinnen. An drei Nachmittagen in der Woche geht Kasongo in den Club. Diese Tage, sagt er, seien die Höhepunkte seines Lebens.

„Vor den Hütten lagen die Leichen meiner Freunde“

Er hatte schulfrei an jenem Tag im Februar, als ihn der Krieg einholte. Er war wandern mit Freunden. „Die Schüsse, die wir hörten, klangen so nah. Viel näher als sonst, und die Schießerei hörte gar nicht auf“, berichtet Kasongo, der damals in Luvungi im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) die achte Klasse besuchte. Sein Vater war früh gestorben, die Mutter besaß ein kleines Geschäft, sie verkaufte Schuhe.

Kasongo eilte sofort heim. „Doch meine Mutter, meine kleinen Schwestern und meine kleinen Brüder, sie waren alle verschwunden. Es war niemand mehr in unserem Haus.“ Vor den Hütten lagen die Leichen der Nachbarn, auch die von zwei Freunden, die nicht hatten mitwandern wollen.

Kasongo suchte Hilfe bei seinem Onkel, Trésor Mwungilima, im nächsten Dorf. Gemeinsam flohen die beiden noch an jenem Tag aus ihrer Heimat. Heute leben sie in einem kleinen Zelt, „Haus Nr. 2, Zelle D, Quartier 6“, im Musenyi Flüchtlingscamp in Burundi.

Wir treffen Kasongo in einem winzigen Unterstand neben diesem Zelt, in den sein Onkel, ein Schneider, eine alte Singer-Nähmaschine gestellt hat. Kleine Arbeiten für andere Flüchtlinge erledigt er hier, erzählt er. Ob ihm Kasongo gelegentlich bei der Arbeit hilft? „Nein“, sagt der Onkel. „Nähen“, erklärt der Junge, „ist nicht meine Passion. Lernen ist meine große Leidenschaft.“

Kasongo sagt, er vermisse seine Familie ganz fürchterlich. Seit Februar hat er nichts mehr von ihr gehört. Als ältester Sohn macht er sich Vorwürfe, dass er nicht daheim war, als die Schießerei begann. Er sei jetzt in Sicherheit, „aber was ist mit meinen Brüdern und Schwestern?“ Im „Club“, berichtet der junge Kongolese, habe er erfahren, dass auch Kinder und Jugendliche Rechte haben, etwa das Recht auf Schutz vor Gewalt. Sogar auf Bildung, Ernährung oder Gesundheitsversorgung. „Ich wusste das gar nicht“, sagt Kasongo. „Aber das ist gut. Das müssen viel mehr Kinder und Jugendliche erfahren.“ Er will dabei mithelfen, das steht fest. „Ich werde mein Wissen weitergeben“, erklärt der 17 Jahre alte Flüchtling. „Ich werde Lehrer werden.“

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Bahati (12): Verletzte trösten, das kann ich gut

Bahati sitzt im Schatten, im Hintergrund sieht man ein Zelt (Quelle: Jakob Studnar)
Bahati (12): Sie ist Waise, ihre Oma sorgt nun für sie. Aber die Oma ist 63. (Quelle: Jakob Studnar)
Bahati sitzt im Schatten, im Hintergrund sieht man ein Zelt (Quelle: Jakob Studnar)
Bahati (12): Sie ist Waise, ihre Oma sorgt nun für sie. Aber die Oma ist 63. (Quelle: Jakob Studnar)

Bahati mag keine Bohnen. Kein Kongolese möge Bohnen, sagt sie. Aber im Musenyi Flüchtlingscamp gibt es wenig und selten anderes. Drei Kilo Bohnen pro Monat erhält jeder Bewohner. Das sind 100 Gramm pro Tag. Manchmal kommen ein paar Erbsen oder etwas Öl dazu. An diesem Tag aber brodeln auf dem offenen Feuer vor Bahatis Zelt wieder nur Bohnen. Zuhause, im Kongo, erzählt die Zwölfjährige, da habe ihre Mutter oft Fisch und Fleisch mit Mais gekocht.

Doch ihre Mutter und ihr Vater sind im Februar erschossen worden, im Kongo. Genau wie ihre Tante, Freunde, Nachbarn. Mit ihren drei Geschwistern und Oma Régine Jagala floh Bahati danach über den Fluss Rusizi, nach Burundi. Die Großmutter sorgt nun für sie. Doch die Großmutter ist 63 – und sie weiß: 63 ist uralt, in einem Land, dessen Durchschnittsalter bei 18,4 Jahren liegt. Wie lange sie wohl noch für ihre Enkelin da sein kann? Sie selbst stellt diese Frage, und dann schießen ihr die Tränen in die Augen.

Bahati weiß zu schätzen, dass sie nun in Frieden leben, ohne Angst schlafen kann. „Im Kongo“, erzählt sie, „konnte ich selbst tagsüber nicht auf der Straße herumlaufen.“ Aber sie hat sich noch nicht angefreundet mit dem Leben im Lager, der furchtbaren Langeweile, die nur durch die Tage im „Club“ unterbrochen wird. „Früher“, erzählt das Mädchen leise, „da hatte ich viele schöne Kleider. Nun habe ich nur noch eins. Das, was ich anhabe.“ Sie vermisse eine Perspektive, sagt Bahati, die Schule, das Lernen. Sehr. In die fünfte Klasse ging sie daheim. Mathematik war ihr Lieblingsfach. Krankenschwester würde sie gerne werden. „Verletzte trösten, das kann ich gut.“

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Kiala (11): Ich habe versucht, den Kopf über Wasser zu halten

Kiala blickt ernst in die Kamera (Quelle: Jakob Studnar)
<p>Kiala (11): Sie kann wieder schlafen, sagt das Mädchen. Aber ihre Tage seien lang und leer. (Quelle: Jakob Studnar)</p><p></p>
Kiala blickt ernst in die Kamera (Quelle: Jakob Studnar)
<p>Kiala (11): Sie kann wieder schlafen, sagt das Mädchen. Aber ihre Tage seien lang und leer. (Quelle: Jakob Studnar)</p><p></p>

Kiala will Zoologin werden. Denn sie mag Tiere, Katzen ganz besonders. Krokodile hasst sie. Denn die schwammen im Rusizi, dem Fluss, den sie im März auf ihrer Flucht vor dem Krieg im Kongo in einem winzigen Boot überqueren mussten. „Mitten in der Nacht, in heftigem Regen sind wir unterwegs gewesen“, erzählt die elfjährige Kongolesin bei unserem Besuch im Musenyi Flüchtlingscamp in Burundi. „Ich habe versucht, den Kopf hoch zu halten. Doch das Wasser ist mir trotzdem in Augen und Nase gelaufen. Und schwimmen kann ich nicht.“ Ihr kleiner Bruder ertrank bei der Überfahrt, die Mutter hatte sich auch in dieser Nacht allein um ihre acht Kinder kümmern müssen. Ihr Mann ist schon lange tot.

Ange Mwamini und ihre Kinder leben nun in einem der vielen weißen Zelte im Lager mit dem UNHCR-Aufdruck. Sie haben es mit einem Zaun aus ein paar gesammelten Zweigen an einer Seite notdürftig von den dicht an dicht stehenden Unterkünften der anderen Familien abgegrenzt, und an einer anderen vom Toilettengebäude nebenan. „So haben wir ein bisschen mehr Privatsphäre“, erklärt Kialas Mutter entschuldigend. „Zuhause“, sagt ihre Tochter, „hatten wir eine Mauer rund um unser Haus.“

Im Kongo, ergänzt Kiala, habe sie viele Freunde gehabt, hier in Burundi noch nicht. Die Elfjährige hilft der Mutter beim Kochen, viel mehr gibt es für sie im Camp nicht zu tun. Ihre Tage seien lang und leer, erzählt sie. Durchbrochen nur von den Nachmittagen im „Club“, den HCB organisiert.

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Über die Autorin

WAZ-Redakteurin Ute Schwarzwald (Quelle: privat)
Ute Schwarzwald
ist seit 1987 Journalistin bei der WAZ heute Redakteurin im Ressort Rhein-Ruhr, vor allem zuständig für Gesundheits- und Medizin-Themen.

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