Im Kinderhaus lernen Mädchen und Jungen, zusammenzuhalten
Text: Hubert Wolf, Fotos: Jakob Studnar, erschienen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung am 04. Dezember 2019
Arif (11) besucht zum ersten Mal im Leben eine Schule
Die Kindernothilfe unterhält mit lokalen Partnern in dem Lager neun Kinderschutzzentren. Hier können die Mädchen und Jungen etwas lernen, dann sind die Häuser, halbwegs feste Gebäude zwischen ungezählten Hütten auf Hügeln, eine Art Schule – aber die einzige, die es gibt. Oder sie können, wie gerade im Vorhof, einfach Seilchen springen, fangen spielen oder einen Drachen steigen lassen. Da haben sie dann aus der Raumnot eine Tugend gemacht, ist das Schutzzentrum zugleich eine Art Kinderhaus.
Da ist Arif, der Elfjährige, der erstmals überhaupt im Leben eine Schule besucht. Oder Ismail. In Myanmar, erzählt seine Mutter Setara Begum, hätte er nur zur Schule gehen können, wenn er sich von den Rohingya losgesagt hätte. „Hier hat er einen Ranzen, Stifte und einen Sonnenschirm für den Schulweg“, sagt die 31-Jährige und freut sich. Ismail ist zwölf und kann jetzt seinen Namen schreiben, gerade ist er nach Hause gekommen. Zuhause ist: Camp 17, Block H-79, Flecken 267.519.
„Zu wenige Organisationen gehen in so eine Notsituation und helfen Kindern“
Mit ihrer Hilfe, liebe Leser, wollen wir weitere Kinderschutzzentren bauen und ausstatten. Neun davon erreichen 600 Kinder, die Glücklichen – aber hier leben 400.000. „Zu wenige Organisationen gehen in so eine Notsituation und helfen Kindern“, sagt Jörg Denker, der Asienexperte der Kindernothilfe. Wie Marufa (Camp 17, Sub-Block H-86), die nach der Flucht zunächst auf einem Fußballplatz lebte und dann noch in einem anderen Lager. Ihre Mutter ist dort gestorben.
Psychologen aus dem Kinderschutzzentrum halfen Marufa, ihr Trauma zu verarbeiten. Vor zwei Jahren war sie hier allein und ängstlich, heute ist sie in der Jugendgruppe, die selbst anderen Mädchen hilft. „Wir gehen von Hütte zu Hütte und erzählen den Leuten über die Rechte von Kindern und darüber, welche Gefahren ihnen hier drohen. Gewalt, Missbrauch, Frühverheiratung. Schlechte Hygiene“, erzählt die 14-Jährige. Und, dass sie ihren Cousin überzeugt hat, zur Schule zu gehen: „Er wollte erst nicht.“
Auf dem Stundenplan steht Problemlösung
In der Schule hat Lehrerin Sakera Kobita inzwischen mit dem Unterricht begonnen. Auf dem Stundenplan steht „Problemlösung“. Die 28 Mädchen bilden drei Kreise und haken sich mit den Armen unter, Frau Kobita legt Stifte in ihren Rücken. Die müssen die Kinder nun aufsammeln, ohne den untergehakten Kreis zu sprengen. Sie biegen sich, sie strecken sich, klappt. „Was lernt ihr davon?“, fragt die Lehrerin. „Als Gruppe zusammenzuhalten.“ „Einander zu helfen.“