Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

In diesem Jahr wollen WAZ und Kindernothilfe den Kriegskindern aus der Ukraine helfen. Den Bomben sind viele entflohen, Angst und Heimweh nicht.
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Krieg in der Ukraine: Wie Sie die Kinder trösten können

Text: Annika Fischer, Fotos: Ralf Rottmann/Funke Foto Services

Edineț/Bukarest/Charkiw. Larissa mit den blonden Zöpfen hat gelernt sich zu verstecken, aber es war kein Spiel. Es gab auch niemanden, der die Vierjährige gesucht hätte, das Haus in Mykolajiw war längst leer. Im März, nach zwei Wochen Krieg, nahm auch ihre Mama Aljona die Kinder an die Hand; mit Larissa und dem zehnjährigen Daniil floh sie über Odessa, Ukraine, über Chișinău, Moldau, bis nach Bukarest, Rumänien. Drei Länder, in denen die Kindernothilfe erst aktiv ist, seit Aljona, Larissa und Daniil auf der Flucht sind vor den russischen Bomben – aber in dieser Zeit hat sie schon 20.000 Kinder erreicht. Kriegskinder. Ihnen wollen wir mit der diesjährigen Weihnachtsspendenaktion helfen.

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"Das sind Leute wie ich, die ein ruhiges, friedliches Leben hatten"

Nicht aus Syrien, nicht aus Afghanistan, nicht aus irgendwo in Afrika. Nachbarn sind es, Kinder und ihre Mütter, die Schutz suchen, bei deren Anblick die Helfer in Osteuropa immerzu dasselbe denken: „Das könnte ich sein.“ Diana Certan sagt das vom Kindernothilfe-Partner Concordia in Rumänien, die ihre Mitarbeiter häufig beruhigen muss: „Das bist nicht du, das ist nicht dein Leben.“ Stefania Diaconu sagt das in einem Auffangzentrum in Bukarest: „Das sind Leute wie ich, die ein ruhiges, friedliches Leben hatten.“ Sie kümmern sich hier seit Jahrzehnten „um die Ärmsten der Armen“ aus dem eigenen Land, aber nun kommen Menschen, die Jobs hatten, ein Zuhause und ihre Kinder in der Schule. In einem anderen Hilfsprojekt im Norden der Republik Moldau können sie manchmal die russischen Bomben hören. Hier fürchten die Menschen, sie könnten die nächsten sein.

Sein wie Nika, 33, aus Odessa, die erst ging, als die Bomben immer lauter wurden und ihre Zwillinge sich an den Krach schon gewöhnt hatten. Die nun so weit weg will, wie es eben geht, und nicht ruhen, „bis meine Kinder gute Schulen haben“. Sein wie Natalia, 35, aus Cherson, die nur eine Viertelstunde hatte, bis sich der letzte Flucht-Korridor schloss, und dann beschossen die Russen das Auto der Bäckerin mit den zwei Töchtern darin. Wie Swetlana aus Charkiw oder Katerina aus Cherson, die schwanger waren, als sie ihr Zuhause verließen – ihre Männer kämpfen im Krieg. Und sie könnten wie Aljona sein.

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Juristin Aljona arbeitet in Bukarest als Putzfrau

Flucht, Hilfe, Kindernothilfe, Krieg
Pressereise mit der Kindernothilfe nach Bukarest am 11. November 2022 in Rumänien. Szenen aus dem Zentrum CASA Iuda von Concordia.  Im Bild: Larissa, 4 Jahre, Tochter von Aljona. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services
Bilder der WAZ Weihnachtsspendenaktion 2022
Sie kamen mit zwei kleinen Rucksäcken aus Mykolajiw: Juristin Aljona mit Larissa (4) und Daniil (10) (Quelle: Ralf Rottmann/Funke Foto Services)
Flucht, Hilfe, Kindernothilfe, Krieg
Pressereise mit der Kindernothilfe nach Bukarest am 11. November 2022 in Rumänien. Szenen aus dem Zentrum CASA Iuda von Concordia.  Im Bild: Larissa, 4 Jahre, Tochter von Aljona. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services
Bilder der WAZ Weihnachtsspendenaktion 2022
Sie kamen mit zwei kleinen Rucksäcken aus Mykolajiw: Juristin Aljona mit Larissa (4) und Daniil (10) (Quelle: Ralf Rottmann/Funke Foto Services)
Aljona, 35, die Rechtsanwältin war in Mykolajiw, bis ihre Kanzlei bei einem Angriff zerstört wurde. In einem dunklen Zimmer in ihrem verlassenen Haus nähte sie ukrainische Flaggen für die Armee. Sie muss ein bisschen lachen unter Tränen, als sie daran denkt, wie sie sie an der Grenze im Wind wehen sah nach zehn Kilometern Fußmarsch. Beim Nähen, sagt Aljona, habe sie den Stress vergessen. Eine Freundin überredete sie zur Flucht, man werde zusammenbleiben, versprach sie. Die Freundin, sie heißt Tatjana, zog weiter nach Deutschland, Aljona hatte das Geld nicht.

Mit Larissa und Daniil landete sie erst in einer Kirche, später bei einer Frau in Bukarest. Sie habe in Haus und Garten geholfen; vom Geld, das der rumänische Staat für Flüchtlinge zahlt, die privat unterkommen, sah sie nichts. Über den Kindernothilfe-Partner fand sie woanders Unterschlupf, sie bekam Medikamente für ihren kranken Magen und gegen Daniils Allergien. Sie lernt jetzt Rumänisch und Englisch und hat einen Job. Als Putzfrau, entschuldigt sich die Juristin, „ich kenne ja nur die ukrainischen Gesetze“.
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Aljona hatte nicht einmal einen Koffer und noch keinen Stempel im Pass

Daniil geht in die Schule, aber nicht jeden Tag: Die in Bukarest ist viel zu weit weg, der Schulweg quer durch die rumänische Hauptstadt dauert mehr als eineinhalb Stunden. Die in Mykolajiw funktioniert nicht mehr gut, dabei hat Aljona für den Online-Unterricht das alte Notebook mitgenommen. Larissa geht in den Kindergarten, sie spielt gern Prinzessin. Die Mutter hat ihr erzählt, der Papa kämpfe in der Armee des Königs, gegen böse Männer, die mit Steinen werfen. Und mit Steinen schmeißen tut man nicht, das weiß die Vierjährige sicher.
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Unbeschwerte Freizeit in der Casa Juda: Die Hilfsorganisation hat für diesen Tag einen Trommler eingeladen.  Quelle: Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services
Musik ist die vielleicht beste Therapie: In der "Casa luda" in Bukarest haben die Helfer an einem Novembertag einen Trommler eingeladen, der mit den Kindern ordentlich Krach macht  (Quelle: Ralf Rottmann/Funke Foto Services)
Unbeschwerte Freizeit in der Casa Juda: Die Hilfsorganisation hat für diesen Tag einen Trommler eingeladen.  Quelle: Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services
Musik ist die vielleicht beste Therapie: In der "Casa luda" in Bukarest haben die Helfer an einem Novembertag einen Trommler eingeladen, der mit den Kindern ordentlich Krach macht  (Quelle: Ralf Rottmann/Funke Foto Services)
In ihrer Wohnung wohnen jetzt ihre Eltern, sie sind ausgebombt, der Vater ist krank, die Mutter will ihn nicht allein lassen. Es ist kalt zuhause, erzählt Aljona, es gibt keine Heizung mehr und keine Fenster, sie haben sie zugehängt mit Tüten gegen den Wind. Diese Wohnung, für die die Familie so lange gespart hatte, 2021 konnten sie endlich einziehen. Für Reisen war nie Geld übriggewesen, Aljona hatte nicht einmal einen Koffer und noch keinen Stempel in ihrem Pass. Am 10. März packte sie nur zwei kleine Rucksäcke, einen Pulli und eine Hose für jedes Kind. Und ein paar Butterbrote.
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Anfangs besorgten sie Matratzen, dann packten sie Lebensmittelpakete

Larissa hat keinen Rucksack getragen. Aber in Bukarest bekommt sie heute einen: Er ist schwarz und fast so groß wie das Kind; es sind geblümte Hefte darin, Stifte und Wasserfarben. Alle Kinder in der „Casa Iuda“ kriegen einen, so wie sie hier Mittagessen bekommen, etwas Rumänisch-Unterricht und einen Ort zum Ankommen. Bleiben wollen die Familien ja gar nicht, aber wer weiß das schon. Hunderte Flüchtlinge haben sie bei Concordia seit Kriegsbeginn versorgt, mehr als 90 Prozent Kinder und ihre Mütter. Erst mit dem Nötigsten und immer mit dem Gefühl, „sich geschützt zu fühlen“.

Dabei hatte die Hilfsorganisation wenig Erfahrung mit Sofort- und Notfalleinsätzen. Die meisten der neuerdings acht Projektpartner der Kindernothilfe in Moldau und Rumänien kümmern sich um benachteiligte Jugendliche, solche, die am Rande der Gesellschaft leben. Dann aber kam schon am Tag des ersten russischen Angriffs der Anruf, ob man nicht helfen könne? Da waren die ersten Flüchtlinge schon so gut wie da. Die jungen Leute in den Zentren rückten zusammen, anfangs schleppten sie Matratzen heran, aber dann hatten die Familien nichts zu essen. Dann packten sie Lebensmittelpakete, aber dann hatten die Menschen nichts anzuziehen. Sie besorgten Sommerkleider, aber die Kinder wuchsen, und nun ist schon wieder Winter.
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"Wir hatten das Gefühl, wir müssen was tun"

Inzwischen haben sie gelernt, was auch die Flüchtlinge selbst erfahren mussten: Es ist nicht für kurze Zeit, der Krieg wird länger dauern. Moldau oder Rumänien sind keine Länder „nur für die Durchreise“ mehr. Also suchen die Helfer Unterkünfte, Jobs und Sprachkurse, besuchen die Menschen und geben ihnen Gutscheine, dass sie sich selbst das Nötigste kaufen können. „Wir hatten“, sagt Diana Certan, „das Gefühl, wir müssen was tun.“
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Kindernothilfe hilft Kriegskindern in zehn Projekten in drei Ländern

Die 42-Jährige ist bei Concordia zuständig dafür, das Geld zu beschaffen, das sie nicht hatten: Innerhalb Europas, lassen die Hilfsorganisationen durchblicken, fließen Spendenmittel nicht gerade üppig. Dass die Kindernothilfe mit einstieg, in zehn Projekten mitarbeitet am Aufbau der Flüchtlingshilfe, lässt nicht nur Diana nun manchmal durchatmen: Neulich hat sie mal wieder Kindern vorgelesen, sie liebt diese ruhigen Stunden, in denen sie selbst etwas tun kann. Ein kleines Mädchen hörte still zu. „Danke“, sagte die Mutter später, „dass Sie meinem Kind ein Lächeln gegeben haben. Das habe ich seit Wochen nicht gesehen.“ Diana erinnert sich daran mit Tränen in den Augen.

Im November, nach 37 Wochen Krieg, spielt Larissa wieder, die Tochter von Aljona aus Mykolajiw. Kein Verstecken, das mag sie nicht gern. Aber sie hat eine lustige Puppe gebastelt aus einer Socke und trägt ein T-Shirt aus dem vollgestopften Kleiderregal im Flur. Es gibt ein großes Regal für große Leute, in dem neulich eine Frau in der Nacht verschämt nach Unterwäsche suchte. Und es gibt ein kleines für kleine Leute: Auf dem Shirt von Larissa steht: „Smile every day“, Lächle jeden Tag.

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Über die Autorin

Portrait Annika Fischer (Quelle: Kai Kitschenberg/ FUNKE Foto Services)
Annika Fischer
Annika Fischer ist Reporterin und war mit der Kindernothilfe seit 2008 in Bangladesch, Guatemala, dem Libanon und in Äthiopien.

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