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Ein kleines Mädchen aus Guatemala klatscht in einer Kindergruppe in die Hände (Foto: Jakob Studnar /  Kindernothilfe)

Reiseblog Guatemala (Tag 2):  Die sichtbaren und unsichtbaren Bedrohungen

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Die Stadt ist umgeben von drei Vulkanen und alle paar Tage bebt die Erde: In der ehemaligen Kolonialstadt Antigua Guatemala ist ganz offensichtlich, was das Leben der Menschen bedroht. Es lässt sich benennen. Die feuerspeienden Berge tragen Namen. Die seismischen Aktivitäten sind berechenbar und bis zu einem gewissen Grad sogar vorhersagbar. Mit diesen Bedrohungen leben die Menschen in Antigua seit Jahrhunderten: in Blütezeiten, als Antigua neben Lima und Mexico City zu den größten Städten Lateinamerikas zählte, und in Zeiten der Zerstörung wie 1773, als ein Erdbeben die aufstrebende Kolonialstadt fast vollständig dem Erdboden gleich machte. Bei weitem nicht so offensichtlich sind die Bedrohungen, denen die Kinder und Jugendlichen in Guatemala ausgesetzt sind. 

Text: Katrin Weidemann / Bilder: Jakob Studnar, Fabian Strauch, FUNKE Foto Services GmbH

Die Partnerorganisationen der Kindernothilfe, die ich besuche, kennen die Fälle und sie kennen die Zahlen. Sie wissen, dass von den 6,5 Millionen Kindern Guatemalas 45% chronisch unterernährt sind. Beinahe jedes zweite Kind! Das ist die höchste Zahl in ganz Lateinamerika - und das bereits seit 30 Jahren - und betrifft vor allem die Kinder der indigenen Bevölkerung.

 
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Vier Geschwister aus Guatemala stehen vor einem Wellblechhaus (Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH)
(Quelle: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH)
Vier Geschwister aus Guatemala stehen vor einem Wellblechhaus (Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH)
(Quelle: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH)

Alltägliche Gewalt in Guatemala: Wenn Kinder Schläge mit Liebe verwechseln

Ebenfalls ungesehen, obwohl so augenscheinlich, ist die Gewalt, unter der Kinder leiden. Schläge innerhalb der Familie zählen in Guatemala zum Alltag und werden in der Gesellschaft als übliche Erziehungsmethode angesehen. "Mein Opa schlägt Oma, mein Vater die Mutter, Mutter mich. Warum soll das falsch sein? Es ist Liebe." Mit dieser Einstellung wachsen Kinder auf.  

Nein, es ist keine Liebe. Es ist Gewalt. Und für 77 000 Kinder (2022 bis 2024), die durch angebliche "Liebe" sexualisierte Gewalt erfahren, ist es auch in Guatemala ein Verbrechen. Diese Zahlen gehen mir unter die Haut. Hinter jeder Zahl steckt ein Menschenkind. Da sind Mädchen, manche erst 10 Jahre alt, die bereits Mutter werden. 2 200 Mädchen waren es im vergangenen Jahr, und auch in diesem Jahr wurden von Januar bis Juli bereits 1047 Kinderschwangerschaften von 10-14jährigen Mädchen registriert. Bei 8 von 10 Fällen, erfahre ich, stammt der Täter aus dem familiären Umfeld. 9 von 10 Fälle passieren zu Hause. Bei 7 von 10 Fällen erlitt die Mutter als Kind selbst sexualisierte Gewalt. In 9 von 10 Fällen richtet sich die sexualisierte Gewalt gegen Mädchen, in einem gegen Jungs.

Prävention und Aufklärung: Wie CONACMI den Kreislauf der Gewalt durchbricht


Unser Partner CONACMI setzt mit seiner Arbeit genau hier an: bei der Gesundheit und dem Schutz von Kindern und der Verhinderung von Gewalt. Mit einem Team aus Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und Anwält*innen unterstützen sie Kinder und Jugendliche bei der Aufarbeitung von Gewalterfahrungen. Einige der Teammitglieder lerne ich im Zentrum von CONACMI in Guatemala City kennen. In dem bunt und kinderfreundlich gestalteten Haus gibt es kleine Beratungskabinen, Verwaltungsbüros, Spielzimmer und einen Kochbereich auch für Eltern. Hier im Zentrum erhalten die Kinder von 0-18 Jahren und ihre Familien psychologische Beratung, Einzel- und Gruppentherapie und rechtliche Beratung. Jedes Kind, das hierherkommt, ist stark traumatisiert. Kindern unter 13 Jahren wird dabei Priorität eingeräumt Viele der Kinder werden direkt von staatlichen Behörden, Gerichten, der Polizei oder von Krankenhäusern an CONACMI überwiesen. 

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Vorschulkinder in Guatemala mit ihren Müttern. (Foto: Jakob Studnar /  Kindernothilfe)
(Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe)
Vorschulkinder in Guatemala mit ihren Müttern. (Foto: Jakob Studnar /  Kindernothilfe)
(Quelle: Jakob Studnar/Kindernothilfe)

Schutz, Therapie und rechtliche Hilfe für betroffene Kinder


Allen Beteiligten ist klar, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit untereinander ist. Deshalb knüpft CONACMI intensiv an einem starken Netzwerk gegen Gewalt. Damit sie die Betroffenen von sexueller Gewalt besser betreuen können, schulen sie Krankenschwestern, arbeiten mit Kinder- und Jugendgerichten zusammen und bringen Vertreterinnen und Vertretern aus dem Gesundheitswesen und der Justiz zusammen. In hunderten von Workshops klären sie Staatsanwält*innen und Richter*innen, Ärzt*innen und Psycholog*innen sowie Sozialarbeiter*innen über Gewalt und Kinderrechte auf. 

Kinder stärken, Risiken reduzieren, Gefahren abwenden - ich bin beeindruckt, wie die Arbeit mit den betroffenen Kindern Hand in Hand geht mit einer umfangreichen Präventionsarbeit. Nur so, denke ich, wird der Kreislauf der Gewalt unterbrochen. Durch Aufklärung, durch Sensibilisierung. Und durch das Sichtbarmachen von den Gefahren, die Kindern drohen. Damit die Gewalt aufhört. 
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Weiterlesen: Guatemala Reiseblog Tag 3

Ein Kleinkind aus Guatemala lächelt in die Kamera (Foto: Jakob Studnar /  Kindernothilfe)

Let's name the future

Kindernothilfe-Vorstand Katrin Weidemann berichtet von ihren Eindrücken ihrer Guatemala-Reise und ihrem Besuch beim Projektpartner vor Ort.
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Über die Autorin

Porträtfoto von Katrin Weidemann (Quelle: Kindernothilfe / Studio Hirsch)
Katrin Weidemann
ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe. Mit ihren Blog-Beiträgen gibt sie persönliche Einblicke in ihre Arbeit.

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