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Teenagerschwangerschaften

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Kenia: Aufklärung übers Radio

Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch

Nur wenn Menschen wissen, dass Kinder Rechte haben, können sie sie umsetzen. Ein kenianischer Partner der Kindernothilfe geht deshalb regelmäßig mit dem Thema auf Sendung.

Prince Mwenda sieht recht entspannt aus, wie er bei der Morgenshow des Senders Weru FM 96.4 vor dem Mikrofon sitzt und mit der Moderatorin ein angeregtes Gespräch über Kinderrechte führt. Tatsächlich sind solche Auftritte im Radiostudio für die Mitarbeitenden des Kindernothilfe-Partners Ripples International Routine. Mindestens einmal pro Woche besuchen sie einen der lokalen Radiosender der kenianischen Stadt Meru, um über Genitalverstümmelung, Kindesmissbrauch oder Teenagerschwangerschaften zu sprechen. „Die Radiosendungen sind sehr wichtig, um über Kinderrechte zu informieren“, erklärt Prince Mwenda. „Denn die Probleme, die wir bei der Umsetzung der Kinderrechte haben, kommen vor allem daher, dass die Menschen zu wenig darüber wissen.“

Um dieses Wissen zu verbreiten, kauft Ripples International jede Woche bei lokalen Radioprogrammen Sendezeit ein. Die Organisation bekommt außerdem Zugang zu der Facebookseite der Radiosender und kann mit Hörern, die weitergehende Fragen haben, direkt in Kontakt treten. Für den Sender sind diese Einnahmen wichtig, doch die Redaktion merkt auch, dass sie da ein bedeutendes Thema hat, das viele Menschen interessiert. „Wir bekommen nach jeder Sendung sehr viele Anrufe und E-Mails von unseren Hörern“, berichtet die Moderatorin Stellah Karimi, die die Morgenshow präsentiert. „Sie haben viele Fragen, aber sie wenden sich auch an uns, um uns auf Kinderrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Manchmal setzen wir unsere Reporter darauf an und bringen die Fälle an die Öffentlichkeit“, meint Stellah und berichtet von einer Recherche, die schließlich einer Beschneiderin das Handwerk legte.

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Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
Prince Mwenda im Studio des lokalen Rundfunksenders (Quelle: Christian Nusch)
Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
Prince Mwenda im Studio des lokalen Rundfunksenders (Quelle: Christian Nusch)

70.000 Menschen schalten jeden Tag die Morgenshow von Weru FM 96,4 ein. Das Programm wird in der lokalen Sprache Kemeru gesendet und auch von vielen Menschen in den umliegenden Dörfern gehört, die sonst schwer zu erreichen sind. Einer dieser Hörer ist Alex, der gestern zum ersten Mal die Kinderrechteshow gehört hat. „Das Interessanteste war für mich, wie wir als Bürger dazu beitragen können, dass die Rechte von Kindern gewahrt werden. Dass wir nicht schweigen dürfen, wenn wir davon erfahren, sondern Anzeige erstatten können und die Polizei dann einschreitet“, meint der Vater einer dreijährigen Tochter. Ihn hat besonders der Teil des Gesprächs interessiert, in dem es um die Genitalverstümmelung von Mädchen geht. „Ich wusste, dass das schädlich und verboten ist, aber wie schlimm die Beschneidung tatsächlich ist, das war mir nicht so richtig bewusst.“ Weil das Programm in der lokalen Sprache ausgestrahlt wurde, konnte auch seine Tochter verstehen, worum es geht, und so klein sie auch noch sein mag, sie fing an, Fragen zu stellen. So klärt das Radioprogramm nicht nur Erwachsene auf, sondern macht auch Kindern ihre Rechte bewusst. 

Teenagerschwangerschaften sind derzeit das wichtigste Thema für Ripples. Prince spricht sogar von einer Teenagerschwangerschafts-Krise. Jedes Jahr werden in Meru County rund 12.000 Minderjährige schwanger. Meru ist damit das County in Kenia, in der das prozentual gesehen am häufigsten vorkommt. Mädchen, die schwanger werden, müssen in aller Regel die Schule verlassen. Die Schwangerschaften berauben sie also eines ihrer wichtigsten Rechte: des Rechtes auf Bildung. „12.000 Mädchen, die die Schule abbrechen – das ist ungefähr so, als würde man jedes Jahr zwölf Schulen schließen“, rechnet Prince Mwenda vor. Den Grund für diese vielen ungeplanten Schwangerschaften sieht er vor allem in den Motorradtaxifahrern. Das sind junge Männer, die die Schulmädchen in die oft weit entfernten Schulen bringen. „Sie erzählen ihnen etwas von Liebe und machen ihnen große Versprechungen, um mit ihnen schlafen zu können“, erklärt Prince Mwenda. „Dabei sind sexuelle Beziehungen mit Minderjährigen in Kenia gesetzlich verboten. Darauf machen wir aufmerksam und hoffen, dass dies den Männern bewusst wird oder dass die Dorfgemeinschaft einschreitet, wenn sie mitbekommt, dass sich die Fahrer an die Mädchen heranmachen.“

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Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
Selbst gemalte Plakate, mit denen sich die Jugendlichen im Ripples-Schutzhaus gegenseitig Mut zusprechen (Quelle: Christian Nusch)
Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
Selbst gemalte Plakate, mit denen sich die Jugendlichen im Ripples-Schutzhaus gegenseitig Mut zusprechen (Quelle: Christian Nusch)
Ist das wirklich die einzige Antwort auf die Teenangerschwangerschaften? Wäre es nicht mindestens ebenso wichtig, den Mädchen zu helfen, unerwünschte Schwangerschaften zu verhindern? Beim Besuch eines weiteren Radiosenders schwenkt der Moderator mal kurz auf Englisch um, setzt mich vor das Mikrofon und fragt, was ich tun würde. Ich kann nicht anders, als eine sehr europäische Antwort zu geben: „Frühzeitige sexuelle Aufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln für Jugendliche würden sicher dazu beitragen, das Problem zu lösen.“ Dem sonst gewiss nicht auf den Mund gefallenen Moderator verschlägt es die Sprache. So etwas hat noch nie jemand öffentlich auf seinem Radiosender gefordert.

In dem konservativen Kenia herrscht allgemein die Vorstellung, dass man Teenager zu außerehelichem Sex ermuntern würde, wenn man mit ihnen darüber spricht und auch noch die Mittel zur Verfügung stellt, dass er folgenlos bleibt. Während ich anrege, die Väter zur finanziellen Verantwortung zu ziehen und nicht alles den minderjährigen Müttern zu überlassen, sehe ich, wie mich Agnes Oduma breit angrinst und den Daumen in die Höhe streckt. Sie ist diejenige, die normalerweise mit diesem Moderator über Kinderrechte spricht. Doch Aufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln darf sie als Mitarbeiterin von Ripples International nicht fordern. „Wenn wir das öffentlich sagten, würden wir sehr schnell die Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren. Wir sind aber für unsere Arbeit darauf angewiesen, dass Polizei und Schulen mit uns zusammenarbeiten, denn ohne sie würden wir auf viele misshandelte Kinder nicht aufmerksam werden und könnten ihnen nicht helfen“, erzählt mir Agnes Oduma nach der Sendung.
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Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
„12.000 Mädchen,die die Schule abbrechen – das ist ungefähr so, als würde man jedes Jahr zwölf Schulen schließen“, sagt Prince Mwenda (Quelle: Christian Nusch)
Zu Besuch beim Kindernothilfe-Partner Ripples (Quelle: Christian Nusch)
„12.000 Mädchen,die die Schule abbrechen – das ist ungefähr so, als würde man jedes Jahr zwölf Schulen schließen“, sagt Prince Mwenda (Quelle: Christian Nusch)
Doch auch, wenn die wichtigen Punkte Aufklärung und Verhütung in den Sendungen unerwähnt bleiben, gelingt es, mithilfe des Radios ein Bewusstsein für Kinderrechte zu schaffen. Seit das Thema regelmäßig in der Öffentlichkeit präsent ist, ist die Zahl der Anzeigen von Kinderrechtsverletzungen gestiegen. Der Zusammenhang ist eindeutig, immer kurz nach der Sendung gehen die Zahlen noch einmal hoch, vor allem die gegen Genitalverstümmelung. „Inzwischen wissen wirklich alle, dass Beschneidung verboten ist. Wer dieser schrecklichen Tradition weiterhin folgen will, hat es immer schwerer, eine Frau zu finden, die das macht, schon das Herumfragen kann eine Anzeige nach sich ziehen“, meint Prince Mwenda zufrieden.

Auch Kindesmissbrauch wird heute viel häufiger angezeigt als noch vor ein paar Jahren. „Nur wenn den Leuten bewusst ist, welche Rechte Kinder haben und an wen man sich wenden kann, wenn sie verletzt werden, können sie garantiert werden; denn es braucht aufmerksame, couragierte Nachbarn, die sie verteidigen.“
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Über die Autorin

Dilma, Joselia, Analiza, Sozialarbeiterin Ellen und Journalistin Katharina Nickoleit (Quelle: Christian Nusch)
Katharina Nickoleit ist freie Journalistin und berichtet oft gemeinsam mit ihrem Mann Christian Nusch aus unseren Projekten.

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