Text: Martin Bondzio, Laura Goldschmitt, Fotos: Jakob Studnar, Martin Bondzio
Anfang des Jahres 2023 reisten 63 Mädchen und Jungen aus 16 Ländern zu einer Konferenz nach Ruanda. Alle verdienen durch unterschiedliche Arbeiten Geld, um ihre Familien zu unterstützen. Alle sind Mitglieder eines der vielen Kinderkomitees der Kampagne Dialogue Works, einer Initiative der Kinderrechtsorganisationen Kindernothilfe und terre des hommes, gefördert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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Links auf dem Podium Patrick Kananga, der sich wundert, wo diese Kinder bei der Konferenz alle herkommen (Quelle: Martin Bondzio)
Links auf dem Podium Patrick Kananga, der sich wundert, wo diese Kinder bei der Konferenz alle herkommen (Quelle: Martin Bondzio)
Es ist fast mucksmäuschenstill in diesem nüchternen Konferenzraum eines Tagungshotels wenige Kilometer südlich der ruandischen Hauptstadt Kigali. Es ist warm, und die Klimaanlage ist wieder einmal ausgefallen. Im Hintergrund dringen leise die Stimmen der Dolmetschenden aus ihren Kabinen, die gerade die letzte Frage aus dem Auditorium übersetzen. Es liegt eine greifbare Spannung in der Luft. Das merkt auch der Adressat der Frage, der mit einer weiteren Regierungsvertreterin auf der Bühne der Übersetzung aus seinen Kopfhörern lauscht. Mit einem verlegenden Lächeln dreht sich Patrick Kananga zur Seite, wo die wenigen anderen Erwachsenen im Saal sitzen, und fragt sichtlich beeindruckt: „Wo habt ihr denn diese Kinder her?“ Schnell ist er wieder der Politikprofi und antwortet gewissenhaft, aber doch im Duktus eines hochrangigen Politikers. Zufrieden gibt sich die 14-jährige Looniva aus Nepal mit der Antwort nicht und hakt nach. Denn Looniva und die anderen Teilnehmenden sind arbeitende Mädchen und Jungen aus der ganzen Welt, und sie sind hier, um gehört zu werden.
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Looniva erwartete auf der Konferenz Antworten auf ihre Fragen (Quelle: Jakob Studnar)
Looniva erwartete auf der Konferenz Antworten auf ihre Fragen (Quelle: Jakob Studnar)
Die erste Reise ihres Lebens
Fünf Tage zuvor, es ist Montagmorgen. Der große Konferenzsaal füllt sich zügig. Die jungen Leute sind aufgedreht. Für viele von ihnen ist es das erste Mal, dass sie von zu Hause weg sind, das erste Mal in einem anderen Land. Das Global Gathering ist für sie alle der Höhepunkt der bisherigen Dialogue Works Kampagne von der Kindernothilfe und terre des hommes. In einer Ecke des Raums spielt eine bunt zusammengewürfelte Truppe Fußball, in der anderen tanzen Mädchen und Jungen zu fernöstlichen Klängen, und vorne an der Bühne gibt es enttäuschte Gesichter – die Koffer einiger Kinder sind auf dem Flug verschollen und noch nicht wieder aufgetaucht. Ein Techniker legt noch Kabel zu den sechs Dolmetscherkabinen.
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Ausgelassene Stimmung beim Global Gathering (Quelle: Jakob Studnar)
Ausgelassene Stimmung beim Global Gathering (Quelle: Jakob Studnar)
Tanzen klappt auch ohne Dolmetscher (Quelle: Martin Bondzio)
Tanzen klappt auch ohne Dolmetscher (Quelle: Martin Bondzio)
Auch vom Kindernothilfepartner PKPA aus Indonesien waren Jugendliche und Mitarbeitende nach Kigali gekommen (Quelle: Jakob Studnar)
Auch vom Kindernothilfepartner PKPA aus Indonesien waren Jugendliche und Mitarbeitende nach Kigali gekommen (Quelle: Jakob Studnar)
Blick in eine der Dolmetscherkabinen (Quelle: Jakob Studnar)
Blick in eine der Dolmetscherkabinen (Quelle: Jakob Studnar)
Und sowieso die Sprachen. Ein wildes Durcheinander von Englisch, Spanisch, Französisch, Arabisch, Bengali und vielen mehr. Man ist geneigt, sich dem Chaos hinzugeben und zu kapitulieren, aber nicht mit „diesen Kindern“. Pünktlich zum offiziellen Start der Konferenz um 8:45 Uhr sitzen alle Teilnehmenden ruhig und konzentriert auf ihren Stühlen. Sie sind begierig, loszulegen, begierig, zu lernen, begierig, ihre Forderungen zu formulieren, begierig, teilzuhaben und ihr Leben selbst zu gestalten.
Auch Looniva ist hoch motiviert und merklich elektrifiziert von der Atmosphäre. „Wir alle sind hier, um etwas zu verändern. Es ist wichtig, dass die Erwachsenen unser Leben verstehen. Nur so können wir nachhaltig unsere Situation verbessern“, erzählt sie mit strahlenden Augen, bevor sie eilig zu ihrem ersten Workshop aufbricht. So wuselig es in den Pausen ist, so konzentriert ist die Arbeitsatmosphäre in den Workshops. Es mag im ersten Moment überraschen, aber es wird nicht nur über Kinderarbeit diskutiert. Fragen der Inklusion, Diversity (Vielfalt), mentale Gesundheit und der Klimaschutz sind weitere wichtige Themen. „Ich muss immer weitere Wege laufen, um Wasser zu holen. Dadurch verpasse ich die Schule“, schildert ein Junge aus Kenia. Die anderen Workshop-Teilnehmenden hören zu, geben Rat, erklären die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf ihren Alltag.
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Die Kinder und Jugendlichen brannten darauf, ihre Erfahrungen weiterzugeben und die der anderen zu hören (Quelle: Jakob Studnar)
Die Kinder und Jugendlichen brannten darauf, ihre Erfahrungen weiterzugeben und die der anderen zu hören (Quelle: Jakob Studnar)
Links Kindernothilfe-Mitarbeiterin Lea Kulakow, eine der Organisatorinnen der Konferenz (Quelle: Jakob Studnar)
Links Kindernothilfe-Mitarbeiterin Lea Kulakow, eine der Organisatorinnen der Konferenz (Quelle: Jakob Studnar)
Austausch in einem Workshop (Quelle: Jakob Studnar)
Austausch in einem Workshop (Quelle: Jakob Studnar)
Die Teilnehmenden verstanden sich auf Anhieb prächtig und hatten trotz der ernsten Themen auch viel Spaß miteinander (Quelle: Jakob Studnar)
Die Teilnehmenden verstanden sich auf Anhieb prächtig und hatten trotz der ernsten Themen auch viel Spaß miteinander (Quelle: Jakob Studnar)
Unsere langjährige Kinderrechtsberaterin Claire O'Kane unterstützte uns bei den Workshops (Quelle: Martin Bondzio)
Unsere langjährige Kinderrechtsberaterin Claire O'Kane unterstützte uns bei den Workshops (Quelle: Martin Bondzio)
Engagierte Diskussionen (Quelle: Jakob Studnar)
Engagierte Diskussionen (Quelle: Jakob Studnar)
Viel Spaß beim Pantomime-Workshop (Quelle: Martin Bondzio)
Viel Spaß beim Pantomime-Workshop (Quelle: Martin Bondzio)
Es gab eine breite Palette von Workshops (Quelle: Jakob Studnar)
Es gab eine breite Palette von Workshops (Quelle: Jakob Studnar)
„Wir wollen, dass unsere Stimmen gehört werden"
Später findet ein Workshop im Hotelflur nebenan statt. Es ist ganz still, alle liegen auf dem Boden, als würden sie schlafen, bis ein Jugendlicher aufsteht und pantomimisch seinen Arbeitsalltag auf dem Zuckerrübenfeld darstellt. Auch Looniva ist hier dabei. „Wir haben keine Lust mehr, für die Politiker zu singen und zu tanzen und uns anschließend nur leere Worte anhören zu müssen. Wir wollen, dass unsere Stimmen gehört werden“, flüstert sie, um den Theaterworkshop nicht zu stören. „Ich lerne hier neue kreative Ausdrucksformen, die ich zu Hause mit meinem Komitee teilen kann.“
Die Tage fliegen nur so ins Land, immer wieder arbeiten die Mädchen und Jungen an einem Statement, das am Ende der Konferenz hochrangigen Regierungsvertretenden präsentiert werden soll. Hier wird um jedes Wort gerungen, damit alle mit ihren Belangen in dem Papier vertreten sind. Die Zeit ist knapp, von Stress ist aber nichts zu spüren. Konzentriert und effizient handeln sie einen Punkt nach dem anderen ab. Politikmaßnahmen sollen realitätsnäher werden. Armutsbekämpfung sowie die Schaffung menschenwürdiger Arbeit für ihre Eltern und ein gesicherter Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung gehören zu den Forderungen. Gleichzeitig wollen sie aber auch angemessenen Arbeitsformen parallel zum Schulbesuch weiter nachgehen dürfen, um ihre Familien zu unterstützen. Am Ende steht die „Kigali Declaration“. Jetzt heißt es, sich auf die Paneldiskussion mit den Entscheidungstragenden vorzubereiten, bevor es am Abend noch ein ganz besonderes Fest geben soll.
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Auch Sudha aus Nepal beteiligt sich engagiert bei allen Veranstaltungen - und die Stimmen der Kinder werden auch von den Regierungsvertretenden gehört (Quelle: Jakob Studnar)
Auch Sudha aus Nepal beteiligt sich engagiert bei allen Veranstaltungen - und die Stimmen der Kinder werden auch von den Regierungsvertretenden gehört (Quelle: Jakob Studnar)
Diese Kinder hatten etwas zu sagen, und sie hatten auch keine Scheu, es vor Regierungsvertretenden vorzutragen (Quelle: Martin Bondzio)
Diese Kinder hatten etwas zu sagen, und sie hatten auch keine Scheu, es vor Regierungsvertretenden vorzutragen (Quelle: Martin Bondzio)
Die Kinder und Jugendlichen werden auch nach der Konferenz in Verbindung bleiben (Quelle: Jakob Studnar)
Die Kinder und Jugendlichen werden auch nach der Konferenz in Verbindung bleiben (Quelle: Jakob Studnar)
Ein Selfie zum Abschied – Palästinenserin Reem hat hier in Kigali viele neue Freundinnen und Freunde gefunden (Quelle: Jakob Studnar)
Ein Selfie zum Abschied – Palästinenserin Reem hat hier in Kigali viele neue Freundinnen und Freunde gefunden (Quelle: Jakob Studnar)
Diese Kinder sind etwas Besonderes
Um kurz nach sechs ist es bereits dunkel. Nach vier vollen Konferenztagen sind die Kinder und Jugendlichen immer noch energiegeladen. Es steht der Abend der Kulturen an, dem alle entgegengefiebert haben. Den großen, schmucklosen Konferenzraum haben die Kinder mit Lichterketten aufgepeppt, an jeder Ecke stehen Gruppen in traditionellen Gewändern, fieberhaft wird das Internet nach letzten Musikstücken durchforstet. Der Abend hält, was er versprach. Ein rauschendes Fest der Kulturen, geprägt von gegenseitigem Respekt, von Neugier und Freundschaft. Längst brauchen die Mädchen und Jungen keine Dolmetschenden mehr. Mit Übersetzungsprogrammen aus dem Internet ist auch die Sprachbarriere endgültig keine Hürde mehr für den internationalen Austausch.
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Große Abschlussparty am Abend der Kulturen (Quelle: Jakob Studnar)
Große Abschlussparty am Abend der Kulturen (Quelle: Jakob Studnar)
„Wo habt ihr diese Kinder her?“, schallt es immer noch in meinem Ohr. Ja, diese Kinder sind etwas Besonderes, so wie jedes Mädchen, jeder Junge dieser Erde etwas Besonderes ist. Und es sollte nichts Besonderes, sondern ganz normal sein, dass sie die Chance bekommen, zu partizipieren und dass Erwachsene und Entscheidungstragende ihnen zuhören. Nicht nur „diese Kinder“ haben etwas zu sagen, das gehört werden muss, sondern jedes Kind auf der Welt. Das hat das Global Gathering eindrucksvoll gezeigt.
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Unterstützen auch Sie Kinder und ihre Familien in Ruanda
Ruanda: Projekte für eine menschenwürdige Kindheit
Sie sind mangelernährt und schon die Grundschule ist zu teuer. Deswegen fangen viele Kinder in Ruanda oft früh an zu arbeiten. Mit unseren Projekten setzen wir uns dafür ein, dass Kinder in menschenwürdigen Verhältnissen aufwachsen können.
ist stellvertretender Pressesprecher der Kindernothilfe.
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